Unterkünfte verzweifelt gesucht

Man stelle sich vor: Bis zum Jahresende kommt die Bevölkerung von ganz Ober-Mörlen neu in den Wetteraukreis. 5000 Kinder, Frauen und Männer ohne Deutschkenntnisse und Geld, die sofort ein Dach über dem Kopf brauchen. Diese Menschen mit dem Nötigsten zu versorgen, ist die schwere Aufgabe des Landrats und der 25 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister.
Sie können nicht mehr wie 1946 einfach Wohnungen requirieren. Und auch nicht wie 2015 auf viele ehrenamtliche Helfer zählen. Denn nur 50 bis 200 sind übrig geblieben, schätzt Johannes Hartmann vom Internationalen Zentrum Friedberg.
Man werde noch intensiver als bisher um Helferinnen und Helfer werben, versprach Landrat Jan Weckler während der Flüchtlingskonferenz am Dienstag im Plenarsaal des Kreishauses in Friedberg. Denn momentan kämen jede Woche 40 bis 50 weitere Menschen in den Kreis. Eine Entspannung sei nicht in Sicht. „Es wird sich noch mal zuspitzen.“
Die Erstaufnahmestellen des Landes betreuen in der Friedberger Ex-Kaserne bis zu 1000 Ankömmlinge, in der Büdingen sind es bis zu 800. Der Kreis und die Kommunen betreiben zusätzlich 98 Gemeinschaftsunterkünfte mit mehr als 2000 Betten. Allein 2022 kamen 900 Plätze hinzu. Weitere Unterkünfte werden verzweifelt gesucht, aber kaum noch gefunden. Es gebe ein Akzeptanzproblem, sagte Landrat Weckler. Viele Einheimische plagten Ängste um die eigene Zukunft. Einmal hat der Kreis laut Sozialdezernentin Stephanie Becker-Bösch ein Quartier mit 30 Plätzen in fünf Monaten intensiver Arbeit bezugsfertig gemacht - und bekam kurz vor der Belegung die Absage des Eigentümers. Für andere Wohnobjekte würden „unverschämte Konditionen“ aufgerufen, berichtete Larissa Mourek vom Fachdienst Migration im Kreishaus.
Von den 4898 Neuankömmlingen des vorigen Jahres stammen 3564 aus der Ukraine. Viele kommen privat unter und sind nach Aussage des Jobcenter-Sprechers Lennart Simon motiviert, eine Arbeit aufzunehmen. Leider fehle Personal für Sprachkurse. Mühsam sei es, vorhandene Ausbildungsabschlüsse nachzuweisen. Und junge Leute müssten die Berater immer wieder darauf hinweisen, dass eine Handwerksausbildung hier genauso gut ist wie eine Arbeit in einer IT-Abteilung.
In den Gemeinschaftsunterkünften sind Menschen aus Afghanistan mit 35 Prozent die größte Gruppe. Sie haben wie alle Geflohenen kaum eine Chance, die amtlichen Briefe zu verstehen. Und wie seit 2015 zwingt die deutsche Bürokratie jeden neuen Flüchtling aus Afghanistan, zum Bonner Generalkonsulat der Taliban zu fahren. Da erhält er gegen Gebühr die Auskunft, dass er keinen Reisepass bekommt. Erst danach gibt es die „Fiktionsbescheinigung“, ohne die kein Geld für Lebensmittel fließt. Die Geflüchteten aus der Ukraine haben es etwas leichter. Sie bekommen sofort Sozialhilfe. Im Exil stellen manche die Flexibilität der deutschen Behörden auf die Probe. Etliche Ukrainer seien mit ihren Haustieren angereist, berichtete Larissa Mourek. Hunde und Katzen seien in Gemeinschaftsunterkünften aber nicht vorgesehen. Andere Familien verschwanden aus der Unterkunft, ohne sich abzumelden und standen Monate später wieder vor der Tür. Das kommt nicht gut an.
Vor allem die jungen Männer brauchen eine Beschäftigung, meinte der ehrenamtliche Kreisbeigeordnete Carl Cellarius. „Früher machten wir Brandschutzausausbildungen, Rundgänge durch den Ort, Nähkurse und Verkehrsschulungen. Das gibt es alles nicht mehr.“ Dafür müssten die Vereine mehr auf die Neuankömmlinge zugehen, schlug Barbara Unger aus Altenstadt vor.