Gefährliche PFAS-Chemikalien in Hessen nachgewiesen - BUND schlägt Alarm
Sogenannte PFAS-Chemikalien sind gefährlich, unzerstörbar und auch in Hessen nachweisbar. Wo sie herkommen, ist allerdings noch ein Rätsel.
Hochtaunus - Sie tragen einen sperrigen Namen, kaum einer kennt sie - und doch ist jeder schon mit ihnen in Berührung gekommen und hat davon profitiert. Sie sorgen dafür, dass der Regen an der Jacke abperlt und das Frühstücksei nicht in der Pfanne klebt, das Backpapier nicht durchnässt wird: die Per- und Polyfluoralkylsubstanzen, auch unter dem Begriff Ewigkeitschemikalien firmierend, oder kurz: PFAS.
Sie sind weit verbreitet, langlebig, potenziell giftig und in der Breite noch gar nicht untersucht: Die von der Industrie genutzten Substanzen werden derzeit intensiv diskutiert, denn sie sollen einem Vorstoß zufolge in der EU weitgehend verboten werden. Dabei geht es Schätzungen zufolge um insgesamt mehr als 10.000 einzelne Stoffe. Einige PFAS sind bereits weitgehend verboten, weil sie als gefährlich gelten. „Von den relativ wenigen gut untersuchten PFAS gelten die meisten als mittel- bis hochtoxisch, vor allem für die Entwicklung von Kindern“, schreibt die Europäische Umweltagentur (EEA).
PFAS-Chemikalien im Hochtaunuskreis nachgewiesen - Sie sind unsichtbar, riskant und langlebig
PFAS seien besonders gefährlich, da sie in der Natur nicht vorkommen und sie deswegen nicht von natürlichen Organismen abgebaut werden könnten, warnt Claudia von Eisenhart Rothe, Vize-Vorsitzende des BUND Hochtaunus. Kürzlich veröffentlichten Recherchen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR zufolge lassen sich an mehr als 1500 Orten in Deutschland PFAS nachweisen, darunter auch in Glashütten-Schloßborn und im Grävenwiesbacher Ortsteil Heinzenberg (Hochtaunuskreis). Dort wurden PFAS jeweils im Grundwasser festgestellt.

Wenn sie hergestellt werden, gelangen die Chemikalien relativ schnell durch Abwasser und Abfall in die Umwelt (Luft, Wasser, Boden) und reichern sich dort an. „Mit der Aufnahme von PFAS aus verunreinigten Böden und Wasser in Pflanzen sowie der Anreicherung in Fischen werden diese Stoffe auch in die menschliche Nahrungskette aufgenommen“, schreibt das Umweltbundesamt (Uba). Menschen können PFAS zudem über die Luft und das Trinkwasser aufnehmen. Eisenhart Rothe zeigt sich besorgt: „Die Chemikaliengruppe wird für vielfältige Erkrankungen verantwortlich gemacht. Diese gehen von Krebsentstehung über Hormonstörungen bis zu verminderter Wirkung von Impfstoffen bei Kindern.“
BUND Hochtaunus schlägt nach Fund von PFAS-Chemikalien Alarm
Der BUND Hochtaunus schlägt ob der Funde in der Region Alarm: Eisenhart Rothe fordert nun die Kommunen zum Handeln auf. Sie sollen „in ihren Zuständigkeitsbereichen recherchieren, wo es Kontaminationen geben könnte“. Müssten die Behörden die Bevölkerung nicht auch über die PFAS-Belastung und die damit verbundenen Risiken informieren?
Beim zuständigen Dezernat für Grundwasser und Bodenschutz des Regierungspräsidiums Darmstadt (RP) sieht man dazu keinen Grund. „Aus den geringen Belastungen in den beiden Messstellen ist eine Gefährdung für die Bevölkerung nicht abzuleiten“, stellt Sprecher Matthias Schaider auf Anfrage dieser Zeitung klar. Die Ergebnisse stammen von Grundwassermessstellen des Landesgrundwasserdienstes in Waldgebieten. Der Dienst unterhält ein hessenweites Netz an Messstellen, um die Grundwasserbeschaffenheit einzuschätzen. Die wesentlichen Informationen dazu werden in den regelmäßig erscheinenden Grundwasserbeschaffenheitsberichten veröffentlicht. Der Report von 2018 enthält bereits ein eigenes Unterkapitel für PFAS; für das Jahr 2023 ist laut RP eine Aktualisierung vorgesehen.
PFAS
Die Chemikalie PFAS hat schon jeder verwendet, ohne je von ihnen gehört zu haben . Die Verbindungen sind unsichtbar, sie lassen sich auch nicht riechen und schmecken. PFAS sind nicht akut giftig, sie können aber der Umwelt und Gesundheit schaden. Aufgrund ihrer wasser-, und fettabweisenden Eigenschaften kommen sie in vielen Alltagsprodukten zum Einsatz. judo
PFAS-Chemikalien im Hochtaunuskreis: „Vermutlich die Spitze des Eisbergs“
In Glashütten-Schloßborn sind die Messungen datiert auf das Jahr 2014; die PFAS-Belastung betrug 18 Nanogramm pro Liter (ng/l), davon waren auch 4 ng/l PFOA - ein Stoff der PFAS-Gruppe, der bereits seit 2020 aufgrund seiner Toxizität verboten ist. In Heinzenberg stammt die Messung aus 2018. Dort wies man 25,8 ng/l PFAS nach (davon 11 ng/l PFOA). „Zum Vergleich: Die Geringfügigkeitsschwelle etwa für PFOA liegt bei 100 ng/l“, so der RP-Sprecher. Schaider gibt also wegen der geringen Konzentration und der Lage im Wald Entwarnung. Ein eigenes Monitoring seien nicht nötig.
Auch nicht, um etwaige andere belastete Orte aufzuspüren? Immerhin sind viele mit PFAS verunreinigte Orte laut Uba noch unbekannt. „Was wir sehen, ist vermutlich die Spitze des Eisberges“, so Uba-Präsident Dirk Messner. Das RP wiegelt ab. Die Auswirkungen auf Boden, Grund- und Oberflächenwasser würden im Rahmen eines Monitoringprogramms seitens des Hessischen Landesamtes für Naturschutz, Umwelt und Geologie bereits beobachtet, so Schaider. „Das RP wird fortlaufend über die Ergebnisse informiert und bewertet den Handlungsbedarf.“ Dennoch bleibt die Frage: Wie kommen die potenziell gefährlichen Stoffe überhaupt ins Taunus-Grundwasser?
PFAS-Chemikalien im Hochtaunuskreis: Woher kommt die Verunreinigung?
Einige PFAS finden unter anderem über Kläranlagen ihren Weg in Flüsse, Seen und Meere. Im vergangenen Jahr ergab eine Studie, dass PFAS selbst in den entlegensten Weltregionen im Regenwasser nachweisbar sind. Besonders gravierend sind laut BUND die Kontaminationen an Orten, wo Schlacken aus der Papierindustrie auf Landwirtschaftliche Flächen ausgebracht wurden. Ebenso können hohe Konzentrationen in der Umgebung von PFAS-herstellenden Fabriken, etwa nahe Galvanikbetrieben, gemessen werden. Dazu kommen Industrien, die teilweise PFAS einsetzen oder kontaminierte Rohstoffe verwenden, wie die Textilindustrie, die Metallveredelung oder Altpapier verarbeitende Betriebe.
Ist das auch in Schloßborn der Fall? Oder sind es Altlasten im Boden? Weder noch, sagt Jörg Wittlich aus dem Glashüttener Bauamt. „Es gibt oder gab in Schloßborn keinerlei Industrie oder sonstige gewerbliche Unternehmen, welche hier einen Erklärungsansatz geben könnten.“ Eine Gefahr für die Bevölkerung, die eine öffentliche Warnung nötig machen würde, sieht auch er nicht, „da es keinen uns bekannten Altlastenstandort in räumlicher Nähe zu unseren Wasserressourcen gibt“.
PFAS-Chemikalien im Hochtaunuskreis: Verbreitung über die Luft möglich
Das RP bestätigt das - genauso wie für Heinzenberg im Usinger Land. Auffallend ist aber, dass es dort eine Kläranlage gibt. PFAS-Belastungen finden sich gehäuft nahe solcher Anlagen und Deponien, in denen sich PFAS-haltige Abwässer und Gegenstände sammeln - denn bislang ist es selbst mit besonders teuren Verfahren nur schwer möglich, die Giftstoffe herauszufiltern oder zu verbrennen.
Der RP-Sprecher hat indes eine andere Erklärung: Da PFAS ubiquitär, also schlicht überall, vorhanden seien, könnten sie sich in der geringen Konzentration über den Wasserkreislauf oder den Luftpfad ausgebreitet haben. Dass PFAS in Spuren heutzutage allgegenwärtig seien, liege an dem vielfachen Einsatz in industriellen Prozessen.