Synagogen in Rhein-Main erstehen wieder auf

Studierende der TU Darmstadt rekonstruieren zerstörte Synagogen im Rhein-Main-Gebiet virtuell. Ein „Fernrohr in die Vergangenheit“ zeigt in Darmstadt jetzt ein 3-D-Bild.
Vor 90 Jahren gab es mehr als 260 Synagogen im Rhein-Main-Gebiet, die fast alle in der Reichspogromnacht den Terrorakten der Nazis zum Opfer fielen. Am Donnerstag ist eine von ihnen quasi wiederauferstanden: Ein „Fernrohr in die Vergangenheit“ zeigt das einstige Gebetshaus der orthodoxen jüdischen Gemeinde Darmstadt an seinem authentischen Ort. Bis in drei Jahren will das Fachgebiet Digitales Gestalten der Technischen Universität (TU) Darmstadt weitere zwölf in der NS-Zeit zerstörte Synagogen in Darmstadt, Frankfurt und Mainz virtuell rekonstruieren.
Fernrohr lässt Passanten auf jüdische Vergangenheit blicken
In Darmstadt ist nun an der Bleichstraße, Ecke Grafenstraße, vor dem Eingang zum Fachärztezentrum, ein stählernes mannshohes Fernrohr fest verankert. Wer hindurchblickt, sieht ein virtuelles Bild des ehemaligen Gotteshauses der Israelitischen Religionsgesellschaft, das einst auf der anderen Straßenseite stand und in der Nacht zum 9. November 1938 von den Nazis niedergebrannt wurde. Das Bild ist dreidimensional und zeigt, wie architektonisch interessant der Bau einst war: drei Rundbogenfenster mit verzierten Steineinfassungen im Erdgeschoss, zwei Eingänge mit Türmchen – einer für Männer, einer für Frauen –, ein zentraler Turm mit Kuppel im Schuppenmuster und goldenem Davidstern.
Die Rekonstruktionen
13 Synagogen in Rhein-Main wollen die Studierenden der TU Darmstadt zusammen mit wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen binnen drei Jahren virtuell rekonstruieren. Ein Teil der Gebetshäuser ist auch schon visualisiert und soll jetzt aktualisiert werden.
In Frankfurt sind die drei großen innerstädtischen Synagogen avisiert, die Synagoge im Israelitischen Krankenhaus in der Rechneigrabenstraße sowie die jüdischen Gotteshäuser in den Stadtteilen Bockenheim, Höchst und Rödelheim.
In Darmstad t werden neben der orthodoxen Synagoge auch die zerstörte Eberstädter Synagoge und die Liberale Synagoge veranschaulicht, deren Überreste im Städtischen Klinikum freigelegt sind.
In Mainz sollen die Synagogen an der Hindenburgstraße und der Margarethenstraße digital wiedererstehen.
Die Rekonstruktionen sind sukzessive im Hochbunker an der Friedberger Anlage in Frankfurt zu sehen, der am 30. April wieder öffnet. ann
Seit genau 40 Jahren weist eine Sandsteintafel an der Bleichstraße 2 schon darauf hin, dass dort diese Synagoge der orthodoxen jüdischen Gemeinde stand. Die Gedenktafel bekommt nun mit dem „Fernrohr in die Vergangenheit“ Gesellschaft. Wer hindurchschaut, sieht, wie die Synagoge einst aussah und wie der Ort aussehen würde, wenn es sie noch gäbe. Ein QR-Code an der Säule führt zu der Plattform „Footprints for Freedom“, die eine Projektgruppe der Darmstädter Lichtenbergschule zusammen mit Informatiker:innen der TU erstellt hat. Damit kann sich jeder und jede weitere Informationen zum jüdischen Leben in der Stadt auf das Handy holen.

Für das Bild im Fernrohr haben Studierende im Fachgebiet Digitales Gestalten der TU ein analoges Doppeldia verwendet, das den dreidimensionalen Effekt erzeugt. Sie haben die Synagoge aber auch digital rekonstruiert, haben am Computer ein 3-D-Modell entstehen lassen. Das Ganze müsse man sich vorstellen „wie einen virtuellen Lego-Bausteinkasten“, sagt Marc Gellert, Leiter des Forschungsbereichs Virtuelle Rekonstruktion am Fachgebiet Digitales Gestalten und Initiator des Projekts. Auf einem zweidimensionalen Grundriss werden, so erklärt er, dreidimensionale Bauteile platziert, die vorher einzeln gebaut wurden. Dann werden die Oberflächen als zweidimensionale Datei erstellt, die dann auf die Geometrie projiziert wird.
25 Synagogen in ganz Deutschland haben die Studierenden schon rekonstruiert
Das Fachgebiet Digitales Gestalten rekonstruiert seit 1995 zerstörte Synagogen – früher mit Computerausdrucken, heute mit Hilfe von Virtual Reality. Deutschlandweit habe man seitdem schon 25 jüdische Gotteshäuser nachgebildet, sagt Grellert. Sein Team heimste national und international Meriten dafür ein. In dem aktuellen Projekt, das dank Sponsoring verwirklicht werden kann, nimmt die TU nun die Synagogen im Rhein-Main-Gebiet in den Blick.
