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"Sieg Heil" bei Facebook

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Von: Carsten Meyer, Joachim F. Tornau

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Internetchats zwischen dem AfD-Funktionär Michael Werl und einem rechtsextremen Aktivisten seien gefälscht, sagt Werl. Doch es gibt Indizien, die für die Echtheit der Facebook-Chats sprechen könnten.

Ist der Kasseler AfD-Funktionär Michael Werl ein bekennender Nationalsozialist? Oder wurde der Vorsitzende der AfD-Fraktion im Kasseler Rathaus das Opfer einer verleumderischen Fälschung? Einen Monat nachdem eine antifaschistische Gruppe Facebook-Screenshots veröffentlichte, die den 30-Jährigen in ein tiefbraunes Licht rückten, herrscht darüber immer noch keine Klarheit – auch wenn Werl sich bemüht, diesen Eindruck zu erwecken.

Es geht um Facebook-Chats, die der Student der Politik- und Wirtschaftswissenschaften 2013 mit einem rechtsextremen Aktivisten aus seiner badischen Heimat geführt haben soll. Von der beiderseitigen Begeisterung für Rechtsrock und NS-Propagandalieder ist darin die Rede. „Sieg Heil!!“, soll Werl geschrieben haben. Und: „sind wir Nationalsozialisten oder nicht!!!“ Der AfDler beteuert indes: alles gar nicht wahr. Er spricht von „zusammengebastelten Screenshots“, die „recht einfach“ als Fälschung erkennbar seien, und hat Strafanzeige gegen unbekannt erstattet; die Polizei ermittelt nun wegen des Verdachts der Verleumdung und des „Veränderns/Ausspähens von Daten“, wie ein Sprecher mitteilt.

Zur Seite gesprungen ist Werl auch jener Mann, mit dem er gechattet haben soll. Auf Anfrage der in Kassel erscheinenden „Hessischen Allgemeinen“ erklärte Lars S. aus Pforzheim, die fragliche Unterhaltung habe nie stattgefunden. Doch es gibt auch Indizien, die gegen eine Fälschung sprechen könnten.

In einem Dialog vom 28. November 2013 werden Hausdurchsuchungen in der rechten Szene erwähnt – „fünf Kumpels hat es hier erwischt“, soll Lars S. berichtet haben. Eine zutreffende Information, wie die Staatsanwaltschaft Pforzheim bestätigt. Einen Tag zuvor hatten fünf Rechtsextreme aus dem Umfeld der Kameradschaft „Heidnischer Sturm Pforzheim“, der auch Lars S. zugerechnet wurde, Besuch von der Polizei bekommen.

Zudem steht fest, dass sich Werl und Lars S. schon lange kennen. Für die Gegenwart war das bereits durch ein „Gefällt mir“ belegt, das der AfD-Politiker im Mai 2016 auf der vor braunen Bekenntnissen nur so strotzenden Facebook-Seite des Neonazis hinterließ. Für die Vergangenheit zeigt das die Freundesliste Werls bei dem untergegangenen sozialen Netzwerk „Wer kennt wen“, die der FR vorliegt. Auf der Liste aus dem Jahr 2013 steht neben Lars S. sogar noch ein weiterer gemeinsamer Bekannter aus der rechtsextremen Szene Pforzheims: Björn U., ein damals sehr eifriger Facebook-Hetzer, der unter anderem die antisemitische Propagandafälschung „Die Protokolle der Weisen von Zion“ als Wahrheit pries. Und der wohlwollend kommentierte, als Lars S. „das eine wahre Reich“ wiederauferstehen und als erstes den Kopf von Bundeskanzlerin Angela Merkel „rollen“ sehen wollte.

Solch offenherzige Äußerungen von Werl selbst lassen sich – jenseits des strittigen Chats – nicht finden. Völlig fremd aber ist dem ehemaligen Landesschriftführer der extrem rechten „Republikaner“ in Hessen derartiges Gedankengut nicht, wie beispielsweise ein Facebook-Post vom 8. Mai 2014 beweist: Da teilte Werl die Parole „8. Mai – wir feiern nicht!“, mit der NPD und militante Neonazis gegen Feierlichkeiten zum Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus agitieren.

Eine wichtige Rolle in den veröffentlichten Chats spielt die Mitgliedschaft Werls in der Kasseler Burschenschaft Germania – einer Studentenverbindung, in der sich zahlreiche Neonazis tummeln. Und zumindest in diesem Punkt kann von Verleumdung wohl kaum gesprochen werden. Öffentlich leugnet der AfDler zwar bislang, sich der Burschenschaft jemals angeschlossen zu haben. Doch in einem Facebook-Dialog, den er nicht mit Lars S., sondern mit einem – übrigens rechtsextremen – Bundesbruder führte, bekannte er sich unmissverständlich zu seiner Zugehörigkeit. In der Unterhaltung, die von der FR gesichert werden konnte, schrieb er von der Germania als „unserer Studentenverbindung“ und benutzte das Kürzel „adH“ für „auf dem Haus“. Womit im Burschenschafter-Jargon das Verbindungshaus gemeint ist.

Natürlich bleibt abzuwarten, wie Polizei und Staatsanwaltschaft all das sehen werden. Sollte sich bei den Ermittlungen jedoch erweisen, dass die veröffentlichten Facebook-Chats insgesamt authentisch sind, könnte die Strafanzeige des AfD-Funktionärs zum Bumerang werden. „Wer wider besseren Wissens gegenüber den Strafverfolgungsbehörden vortäuscht, dass eine Straftat begangen worden sei, hat mit der Einleitung eines Strafverfahrens gegen seine Person zu rechnen“, erklärt der Sprecher der Kasseler Staatsanwaltschaft, Götz Wied. Möglich sind bis zu drei Jahre Haft oder eine Geldstrafe. 

In der ursprünglichen Fassung dieses Artikels hatten wir geschrieben, dass die erwähnten Razzien bei Rechtsextremen im Raum Pforzheim „Insiderwissen“ seien, weil darüber in den Medien nicht berichtet worden sei. Das ist unzutreffend. Zwar ist richtig, dass nach Auskunft von Polizei und Staatsanwaltschaft damals keine offizielle Pressemitteilung veröffentlicht wurde. Doch uns ist entgangen, dass es trotzdem einige kurze Zeitungsmeldungen gab. Wir bedauern diesen Fehler.

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