1. Startseite
  2. Rhein-Main

Rechtsextremismus in Hessen: Gewaltbereitschaft steigt

Erstellt:

Von: Gregor Haschnik

Kommentare

Die rechtsextreme Szene in Hessen ist diffuser und gefährlicher geworden.

Als wichtigste Aufgabe und größte Herausforderung hat der neue Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV), Bernd Neumann, die Bekämpfung des Rechtsextremismus kürzlich im FR-Interview bezeichnet. Er konstatiert eine steigende Agitation und Gewaltorientierung in der Szene. Die Statistiken im jüngsten vorliegenden Bericht seiner Behörde bestätigen die Dringlichkeit: Demnach hat das sogenannte Personenpotenzial im rechtsextremistischen Bereich zwischen 2017 und 2021 von 1465 auf 1710 zugenommen, die Zahl der Straftaten von 540 auf 946. Auch bei den Gewaltdelikten wurde in dem Zeitraum ein Anstieg registriert, von 16 auf 42. Wobei es sich lediglich um die erfassten Personen und Fälle handelt und Fachleute von einem großen Dunkelfeld ausgehen.

Die breite Kritik, dass die hessischen Sicherheitsbehörden das Problem des Rechtsextremismus lange Zeit vernachlässigten und etwa den Mord am CDU-Politiker Walter Lübcke nicht verhinderten, führte 2019 zur Gründung der „Besonderen Aufbauorganisation Hessen-Rechts“ (BAO Hessen R). Die beim Landeskriminalamt (LKA) angesiedelte Einheit hat in den ersten drei Jahren etwa 350 Durchsuchungen durchgeführt und 170 Haftbefehle gegen Leute aus dem rechten Spektrum vollstreckt.

Zu den Gruppierungen, die das LfV nach eigenen Angaben intensiv im Blick hat, zählen die sogenannten Reichsbürger:innen, darunter das „Königreich Deutschland“ (KRD). Sie leugnen die Befugnisse und Rechtsgrundlagen der Bundesrepublik Deutschland und wollen expandieren, indem sie „staatsähnliche Strukturen“ aufbauen. Dazu werden auch Dorfprojekte und Unternehmen gegründet. Im Mai 2022 sollten beispielsweise ein Lebensmittelgeschäft und eine sogenannte Regionalstelle in Hasselroth (Main-Kinzig-Kreis) eröffnet werden. Kurz vor dem geplanten Start zogen sich die Initiatoren und Initiatorinnen zurück und begründeten dies mit der medialen Berichterstattung und „Unverständnis“ in der Bevölkerung.

In Hessen soll es etwa 1000 Reichsbürger:innen geben. Besonderen Anlass zur Sorge gibt die Tatsache, dass im Jahr 2022 27 von ihnen über Schusswaffen verfügten, 20 weitere über einen Kleinen Waffenschein. In den drei Jahren zuvor wurde nach LKA-Angaben 100 Anhänger:innen die Waffenerlaubnis entzogen.

Losgelöst von den Zahlen beobachten Experten wie der Politikwissenschaftler Reiner Becker, Leiter des Beratungsnetzwerks Hessen, dass sich diffusere Strömungen ausgebreitet haben, darunter sogenannte Selbstverwalter:innen und Aktivist:innen, die „Querdenken“ zuzuordnen sind. Die rechtsextreme Szene sei nicht mehr so leicht überschaubar wie vor etwa 15 Jahren, als zum Beispiel Skinheads und Kameradschaften häufiger öffentlich präsent und die rechtsradikalen Parteien „zwischendrin“ waren.

Infolge von Krisen wie der Corona-Pandemie, so Becker, gingen heterogene, uns widersprüchlich erscheinende Gruppen auf die Straße, wobei sich dort immer wieder Köpfe etwa der NPD tummelten. Sie ließen diese Gelegenheiten nicht aus. Auch wenn es für solche Parteien auch aufgrund der AfD nicht einfach sei, seien sie weiterhin aktiv. So habe die rechtsextreme Kleinpartei III. Weg mittlerweile einen „Stützpunkt Kurhessen“.

Darüber hinaus gebe es eine ganze Reihe kleinerer radikaler Gruppierungen, zum Teil mit Verbindungen in die Kampfsport- oder Prepper-Szene. Sie spielten zwar quantitativ keine große Rolle, seien aber dennoch gefährlich. Das zeige schon die Tatsache, dass bundesweit bei Durchsuchungen oft Waffen gefunden werden.

Auch interessant

Kommentare