„Rassismus ist enttabuisiert worden“

Sascha Schmidt, Gewerkschaftssekretär des DBG Hessen-Thüringen, spricht im FR-Interview über die Lage der extrem rechten Parteien in Hessen.
Sascha Schmidt (41) ist Gewerkschaftssekretär des DBG Hessen-Thüringen mit Sitz in Wiesbaden. Er befasst sich seit Jahren intensiv mit der extremen Rechten in Hessen und ist Berater im „Beratungsnetzwerk Hessen für Demokratie und gegen Rechtsextremismus“.
Herr Schmidt, wie sind die drei extrem rechten Parteien in Hessen – die NPD, „Der Dritte Weg“ und „Die Rechte“ –, im Moment aufgestellt?
Die NPD ist immer noch die stärkste Partei unter den dreien, hat aber seit einigen Jahren den Tiefpunkt ihrer Mitgliederzahlen erreicht. Aktuell hat sie rund 250 Mitglieder, 2008 waren es noch fast doppelt so viele. Ihre Schwerpunktregionen sind die Wetterau und der Lahn-Dill-Kreis, dort hat sie bei den Kommunalwahlen gute Ergebnisse erzielt. Insgesamt ist ein Aufschwung der NPD aber nicht erkennbar. Die „Jungen Nationaldemokraten“ haben unter Führung von Thassilo Hantusch zuletzt mehrere Demonstrationen in Mittelhessen organisiert, die Zahl der Teilnehmer blieb jedoch unter ihren Erwartungen. Im Moment konzentriert die NPD sich auf die Region Fulda, wo ihre stärkste Konkurrenz aus dem neonazistischen Spektrum, „Der Dritte Weg“, verstärkt auftritt.
Wie schätzen Sie die Strukturen des „Dritten Wegs“ in Hessen momentan ein?
„Der Dritte Weg“ ist für militante Neonazis attraktiver als die NPD. Die Mitgliederzahl ist überschaubar, aber um Massen geht es dieser Kaderpartei auch nicht. Ihre Aktivitäten in Hessen konzentrierten sich zunächst auf Limburg-Weilburg, Wiesbaden und Südhessen, aber seit einigen Monaten agiert die Neonazipartei verstärkt in Fulda.
„Der Dritte Weg“ ist offener nationalsozialistisch als die NPD. Ist das der Hauptunterschied zwischen den beiden?
Ja. Das macht auch den Unterschied aus, was die Attraktivität gerade für junge Neonazis angeht. „Der Dritte Weg“ agiert fundamentaloppositioneller als die NPD und verspricht, das zeigen seine bundesweiten Demonstrationen am 1. Mai, mehr Aktivität und Dynamik – und auch mehr offene Gewaltbereitschaft.
Wie ernst muss man „Die Rechte“ nehmen, die sich in Hessen vor kurzem neu formiert hat?
Eher unwahrscheinlich, dass daraus nennenswerte Strukturen entstehen. Schon beim ersten Versuch hat die Partei in Hessen nur rund zwei Jahre existiert und konnte kaum Akzente setzen. Zudem bleibt abzuwarten, ob nicht die gesamte Partei nach dem Rückzug ihres Bundesvorsitzenden Christian Worch weiter an Bedeutung verliert.
Wie versuchen die Parteien, die aktuelle politische Stimmung zu nutzen, wo ja durchaus ein Rechtsruck zu verzeichnen ist?
Sie versuchen an die aktuellen Mainstreamdiskurse anzudocken. Ihr Problem ist aber, dass ihre Themen mittlerweile im Mainstream angekommen sind. Rassistische und völkische Positionen, die vor einigen Jahren noch in großen Teilen einer seriösen Öffentlichkeit kaum diskutierbar waren, sind in den vergangenen Jahren enttabuisiert worden. Das wird zum Problem für die extrem rechten Parteien.
Sie sind sozusagen Opfer ihres eigenen Erfolgs?
Naja, dieser Erfolg basiert ja nicht auf ihrem Engagement, sondern auf dem Rechtsruck der Öffentlichkeit und dem Aufstieg der AfD. Tatsächlich sind Unterschiede in dem, wie die NPD etwa das Flüchtlingsthema bearbeitet, und dem, was AfD-Sympathisanten auf Facebook schreiben, kaum noch erkennbar.
Wie kommt es denn, dass die AfD auch in Hessen so viel erfolgreicher ist als etwa die NPD?
Das ist auch eine Milieufrage und eine Frage des Auftretens. Die AfD profitiert davon, dass viele ihrer Funktionäre aus bürgerlichen Parteien stammen und einen bürgerlichen Auftritt pflegen. Ihre Sprache zeigt aber, dass sie dort andocken, wo die sogenannten Mitte-Studien seit Jahren ein gesamtgesellschaftliches Problem aufzeigen: Es gibt in der Bevölkerung eine breite Zustimmung etwa zu rassistischen Positionen, insbesondere gegenüber Muslimen.
Gibt es Versuche von NPD und „Drittem Weg“, der AfD ihre Wähler wieder abzujagen?
Ich sehe da keine konkreten Strategien. Die NPD ist eher mit Lamentieren beschäftigt und behauptet, die echte nationale Alternative zu sein. „Der Dritte Weg“ zielt auf ein ganz anderes Spektrum ab. Die Parteiform ist eher eine Strategie, um sich vor einem Verbot zu schützen. Man muss aber auch betonen, dass die neonazistische Szene in Hessen stärker und gewaltbereiter ist, als es ihre Aktionen in Hessen vermitteln. Beim Rechtsrockkonzert in Themar im Juli, wo 6000 Neonazis teilgenommen haben, waren über 100 Personen aus Hessen. Hessische Neonazis traten am Rande von Demonstrationen, wie am 1. Mai in Halle, gewalttätig in Erscheinung.
Was erwarten Sie von der Landtagswahl 2018? Werden die extrem rechten Parteien dort eher schlecht abschneiden?
Davon gehe ich aus. Die NPD sammelt schon Unterstützungsunterschriften und wird sie auch zusammenbekommen, für „Die Rechte“ oder den „Dritten Weg“ wird das schwer. Generell gilt: Wer eine Partei wählen will, die für völkisch-rassistische und nationalistische Positionen steht und sich im Landtag gegen Vielfalt, Modernisierung und die Gleichberechtigung aller Geschlechter und Identitäten einsetzt, wird eher die AfD wählen. Trotzdem werden die Neonazis den Wahlkampf als Plattform nutzen – und es wird von breiten Bündnissen der Couragierten vor Ort abhängen, ihnen mit deutlichen Gegenpositionen diese kleinen Erfolge zu nehmen.
Interview: Hanning Voigts