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Polizei Frankfurt: „Es wird immer absichtliches Fehlverhalten geben“

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Von: Oliver Teutsch

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Blickt gelassenen seinem Ruhestand entgegen: Frankfurts scheidender Polizeipräsident Gerhard Bereswill. Foto: Monika Müller
Blickt gelassenen seinem Ruhestand entgegen: Frankfurts scheidender Polizeipräsident Gerhard Bereswill. © Monika Müller

Polizeipräsident Gerhard Bereswill über interne Skandale, seine Verdienste und warum er ein bisschen sauer auf die Stadt Frankfurt ist

Herr Bereswill, wie fällt Ihre ganz persönliche Bilanz nach fast acht Jahren als Polizeipräsident Frankfurts aus?

Das waren acht herausfordernde Jahre. Ich hatte auch vorher nie Funktionen, in denen ich mir einen Lenz hätte machen können. Im Polizeipräsidium Westhessen war ich zum Beispiel nur kurz, aber als der Besuch von US-Präsident Bush in Wiesbaden anstand, und ich habe die Vorbereitungen koordiniert. Vor Arbeit habe ich mich nie gedrückt. Ich muss aber im Nachhinein sagen, ich hätte nicht gedacht, dass es so kommt, wie es kam.

Warum?

Das hat zwei Gründe. Es gab in diesen Jahren sehr viel, was es in den Jahren zuvor nicht gab. Die Flüchtlingswelle, die hochgekochte Bahnhofsviertel-Thematik, viele Auseinandersetzungen, an die wir uns gar nicht mehr erinnern. Pegida, Fragida. Dann hatten wir 2017 das Jahr mit den meisten Versammlungslagen, etwa 1700. Im Durchschnitt sind es sonst 1100. Die Zahl sagt, glaube ich, sehr viel aus. Dann kam die Pandemie und damit zusätzliche Aufgabenstellungen wie Corona-Kontrollen, Stichwort Opernplatz. Und dann kamen die Dinge, die mich die letzten zwei, drei Jahre sehr intensiv aus der Binnensicht beschäftigt haben: die Chatnachrichten zwischen Polizisten, deren Inhalte eindeutig rassistisch, antisemitisch, menschenfeindlich waren. Da war mir klar, dass man das nicht einfach so abarbeiten kann, sondern dass man viel mehr machen muss. Daher haben wir ein breites Programm an Präventionsmaßnahmen aufgestellt. Was dann auch wieder eine Herausforderung war.

Inwiefern?

Wegen der Fragen, machst du das richtig, machst du das falsch, machst du zu viel, machst du zu wenig und wie nimmst du die Leute mit? Wie kriegt man das in die gesamte Behörde hinein? Das waren schon enorme Zusatzherausforderungen. Hinzu kam, dass ich die Behörde ja nicht einfach so stehen lassen wollte, wie ich sie bekommen hatte. Mir ging es darum, das Präsidium zukunftsfähig zu machen und zu professionalisieren, kommunikationsfreudiger zu machen und transparenter. Schutzmänner vor Ort, Zusammenlegung der Reviere, die Einführung von Social Media beim Polizeipräsidium Frankfurt und viele weitere Konzepte und personelle Änderungen.

Haben Sie einen Überblick, wie viele zusätzliche Stunden oder Abende Sie investiert haben? Sie waren ja auch abends noch in Ausschusssitzungen oder auf Empfängen.

Nein, das habe ich nicht. Mir war von Anfang an klar: Wenn ich diesen Job mache, gucke ich nicht auf Stunden. Ich habe eigentlich immer weit mehr als acht Stunden gearbeitet. Es war sicherlich ein immenses Maß. Urlaub war auch nie mein Kriterium für Dienst oder Nichtdienst.

Woran liegt es, dass es in Ihrer Amtszeit so viele Negativschlagzeilen gegeben hat, obwohl Sie innerhalb der Behörde ein so gutes Standing hatten?

Wir sind eine Behörde mit mittlerweile mehr als 4000 Mitarbeitern, da wird es immer wieder Fehler oder auch absichtliches Fehlverhalten geben. Wir werden sicherlich auch immer wieder Kriminalität beim einen oder anderen haben. Was diese Chats angeht, sehe ich das aber so, dass dies auch mit der Veränderung in der Gesellschaft zu tun hat. Bitte nicht falsch verstehen, ich möchte niemanden freisprechen. Natürlich gehört auch ein Eigenanteil dazu. Aber die Themen Rassismus und Antisemitismus habe ich vorher in über 40 Jahren bei der Polizei nicht kennengelernt. Ich glaube, in den letzten fünf bis acht Jahren hat sich in unserer Gesellschaft einiges stark verändert. Ich glaube, dass wir eine Fragmentierung und Polarisierung der Gesellschaft haben. Wir haben Bewegungen wie Reichsbürger und „Querdenker“, aber auch die AfD, die laut einem Gutachten des Deutschen Instituts für Menschenrechte rechtsextremistisch und eindeutig verfassungsfeindlich ist. Und dann gibt es Bürger, die darauf zulaufen, und auch Polizisten, die dieser Entwicklung verfallen oder mit Social Media nicht umgehen können und sich hineinziehen lassen.

Zur Person

Gerhard Bereswill wurde am 1. April 1957 im südpfälzischen Bundenthal geboren. Seine berufliche Karriere begann er 1974 beim Bundesgrenzschutz, bevor er 1978 zur hessischen Polizei wechselte, zunächst als Streifenbeamter in Darmstadt. Im Jahr 2010 kam er als Polizeivizepräsident nach Frankfurt, 2015 übernahm er die Behörde.

Der Vater zweier erwachsener Kinder lebt mit seiner Frau in der Nähe von Darmstadt. Nach der Pensionierung möchte er im Mai eine Fahrradtour durch das Obere Rheintal nach Frankreich machen. Das Ende der Tour sei offen, sagt er. ote

Wie ist Ihr Verhältnis zur Stadt Frankfurt? Bei Ihrer Verabschiedung stand niemand offiziell auf der Rednerliste .

Ich habe mich mit dem Oberbürgermeister darauf verständigt, dass wir uns persönlich Ende des Monats voneinander verabschieden. Mein Verhältnis zur Stadt ist sehr intensiv und über die Jahre stetig gewachsen. Ich bin eigentlich auch immer gehört worden.

Aber in Ihrer Abschiedsrede haben Sie die Stadt doch diesbezüglich kritisiert.

Ja, es geht um die Videokameras. Sie kennen die lange politische Diskussion, ich will es abkürzen: Letztlich gab es einen politischen Konsens, dass die Anlagen an zwei Stellen erneuert werden und an zwei Stellen neue Anlagen entstehen. An vier Stellen in der großen Stadt Frankfurt. Ich kann Ihnen kleine Gemeinden zeigen, die 20 Kameras oder mehr haben. An vier Stellen, das war wirklich mit Augenmaß. Ich finde es einfach schade, dass eine Stadt wie Frankfurt, die ja auch die Aufgabe der allgemeinen Gefahrenabwehr hat, es nicht schafft, die politische Brille für so eine wichtige Prävention mal abzusetzen. Wir haben Personal zur Auswertung der Kamerabilder bereitgestellt und extra das Projekt Super-Recognizer aufgelegt, weil wir das in Verbindung mit den neuen Kameras sehr gut nutzen können. Wir haben alles gemacht und unsere Versprechen gehalten und durch die Aufnahmen der jetzigen Sicherheitskameras eindrucksvolle Erfolge, auch nach schweren Straftaten, vorzuweisen, aber bei der Stadt gibt es offenbar niemanden, der die Sache mal mit Dampf vorantreibt – und irgendwann ist die Planung dann veraltet.

Was hätten Sie denn in Ihrer Behörde gerne noch in Angriff genommen oder zu Ende gebracht?

Es gibt immer Sachen, die man voranbringen kann, aber ich habe, glaube ich, in der Behörde sehr vieles moderner und zukunftsfähiger gemacht. Das einzige, was mir Sorgen gemacht hat, war die Fragestellung im Zusammenhang mit den Chatnachrichten: Ob wir bei den Themen Rechtsradikalismus, Rassismus und Antisemitismus in den eigenen Reihen so sehr nach vorne gekommen sind, dass ich guten Gewissens ablassen kann. Ich glaube aber, dass wir in den drei Jahren so viele Eckpunkte und Hauptziele erreicht haben, dass ich auch da sagen kann, es ist in Ordnung jetzt auszusteigen, weil ich weiß, dass alle Führungskräfte die Thematik internalisiert haben, dass wir an dieser Ecke nicht aufgeben und nachlassen dürfen. Darin hat uns ja auch die „Expertenkommission zur Verantwortung der Polizei in einer pluralistischen Gesellschaft“ bestätigt. Sie war baff, was wir in Frankfurt alles gemacht haben an Fortbildung und Änderungen. Das ging so weit, dass es im Abschlussbericht hieß, was wir gemacht hätten, sei beispielgebend für die hessische Polizei. Ich kann jetzt sagen: „Du hast deine Hausaufgaben gemacht“. Und wenn das nicht wegkippt, nachdem ich gegangen bin, wovon ich überzeugt bin, kann das nur in die richtige Richtung laufen.

Sie wohnen in Südhessen. Haben Sie Frankfurt in den vergangenen Jahren mehr abgewinnen können als nur einen Arbeitsplatz?

Durch meine Tätigkeit in Frankfurt habe ich natürlich einen tiefen Einblick in die unschönen Dinge wie Kriminalität, Unfälle und Unglücksfälle. Allen Polizisten geht es so: Wir sehen hauptsächlich die Schattenseiten der Gesellschaft. Aber ich als Polizeipräsident hatte das Glück, auch mal bei schönen Veranstaltungen dabei gewesen zu sein, bei schönen Anlässen oder an schönen Örtlichkeiten. Das hat es für mich aber noch bizarrer gemacht und auch den Wunsch verstärkt, die schönen Seiten der Stadt irgendwann noch häufiger und intensiver zu erleben. Ich hoffe, dass mir das jetzt im Ruhestand vergönnt ist.

Was wollen Sie sich denn mal in Ruhe anschauen?

Ich mag den Palmengarten sehr. Da hoffe ich noch ein paar Mal hinzukommen.

Interview: Oliver Teutsch

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