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Polaroide Realität

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Von: Olaf Velte

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Machen Kunst im Quadrat: Paul A. Royd und Markus Elsner.
Machen Kunst im Quadrat: Paul A. Royd und Markus Elsner. © Rolf Oeser

Reise in die Gegenwirklichkeit: Die Bad Homburger Galerie Artlantis zeigt die Ästhetik des Sofortbildes mit Werken der Künstler Stefanie Schneider, Paul A. Royd und Markus Elsner.

Dreißig Minuten, vielleicht vierzig. So lange ist Zeit, auf das Bild einzuwirken, eine andere Realität zu gestalten. Welche Möglichkeiten die lange abschätzig gehandelte Sofortbildtechnik bietet, offenbart sich derzeit in der Bad Homburger Galerie Artlantis. Die fotografischen Variationen stehen unter dem stimmigen Motto „Magie des Moments“.

Tatsächlich entscheidet der Augenblick, der Moment, das Jetzt. Die 74 dargebotenen Werke von Stefanie Schneider, Paul A. Royd und Markus Elsner – beileibe keine Anhänger des derzeit grassierenden Polaroid-Revivals – sind schnellen Entscheidungen und sorgsamer Vorbereitung geschuldet. Jedem der drei Künstler ist ein eigener Bereich in dem ehemaligen Mühlen- und Fabrikgebäude im Stadtteil Dornholzhausen zugewiesen – was die Sphären abgrenzt, Blicke auf den Nachbarn aber nicht verwehrt.

Im Roten Raum mag es also beginnen. Paul A. Royd, der auch Hans Helmut Rupp genannt werden darf, ist ein skrupelloser Manipulator. Seine Polaroids werden aufgerissen, zerkratzt, mit Chemie traktiert. In experimenteller Schaffenswucht entstehen Motivüberlagerungen und Verfremdungen mit Titeln wie „Another Day in Paradise“ oder „Love me do“ oder „I’d rather go blind“. Die entsprechenden populärmusikalischen Rhythmen sollen im Betrachterkopf durchaus mitschwingen: Ohne Umschweife verwandeln sich die acht mal acht Zentimeter großen Originale in eine Sinfonie de la Musica Rock.

Ein in ungewöhnlicher Atmosphäre aufleuchtendes Destillat des Alltäglichen gelingt auch dem Frankfurter Markus Elsner, dessen 1972er Polaroid Land-Kamera ein legendäres Handwerkszeug ist. Einst von planungs- und feierfreudigen Menschen als „Skizzenblock“ oder „Partykamera“ gebraucht, nutzt der Fotokünstler die Eigenheiten des Geräts zur Umwertung der Verhältnisse. Nur 300 Farbtöne stehen dem Sofortbildner zur Verfügung, eine Palette, die kitschige Knallbuntheit ebenso erlaubt wie dürftigste Ausgewaschenheit. Wo Royd bricht und fetzt, verlegt sich Elsner aufs Drücken und Quetschen. „Texel“ ist ein quadratisch-meterhoher Abzug, der auch in der Nahsicht nichts von seinem Reiz verliert. Derb und fein wirbelt, schliert und schlingert es über die Oberfläche, das tausend Mal abgelichtete Sujet wird fremd und fremder.

Direkt nach dem Auslösen und noch während des Entwicklungsvorganges wurde das Polaroid auf dem warmen Autodach mit einem Schlüssel bearbeitet. Das „Verschieben der Chemikalien“ führt geradewegs ins Jenseits üblicher Sehgewohnheiten. Mit der aktuellen Ausstellung ist den Verantwortlichen ein Coup gelungen: Im Jubiläumsjahr der einstigen Weltmarke Polaroid konnte für die erste Artlantis-Schnellbild-Ausstellung eine Dame von internationalem Ruf gewonnen werden. Ein Dutzend ihrer großformatigen Reproduktionen sind wohlbehalten aus Berlin eingetroffen, haben die nüchterne Werkshalle aus der Zeitspur geworfen.

Die Hitze strahlt von den Wänden ab, ausgesendet von sonnengegerbten Landschaften und blutdurchpulsten Leibern. Es ist die Welt von Stefanie Schneider. Einer mittlerweile anerkannten Bildschöpferin, die ihren Lebensraum an den westlichen Rand der USA verlagert hat, auch vor Filmkunst nicht zurückschreckt und ihre Polaroids zuweilen im Wüstensand vergräbt. Von einer „innerlichen Ästhetik“ hat sie während eines Interviews gesprochen, von Träumen, einem Balancieren über Abgründen.

„Dream Scene on Salt Lake“ ist eine dieser frontalen Einlassungen, vor denen Zuordnungen obsolet werden. Wer hier mit dem Begriff „Schönheit“ hantiert, hat etwas außer Acht gelassen. Drei Mädchen in weißen Kleidchen, Sonnenschirme, die Horizontlinie im Blick. Das Boot, in dem die Ausflüglerinnen unterwegs sind, liegt im Sand. Eine Inszenierung, die den Zustand westlichen Wohlstandsbürgertums trefflich in Szene setzt.

Selbst die Liebe – heimliches Thema der Ausstellung – kann der polaroiden Wirklichkeit nicht widerstehen. Der Kuss trägt das Verblassen des Glücks bereits in sich. Auch davon berichtet die „Magie des Moments“: Dem Schattenwesen Mensch ist das Scheitern stets mitgegeben. Die Wüste bietet Attraktionen, aber keine Auswege.

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