Was die Parteien für den Verkehr planen

Fahrradaktivisten fordern mehr Geld für den Bau von Radwegen, eine bessere Qualifikation der Radverkehrsplaner und eine stärkere Förderung von Fahrradparkplätzen.
Hessens Wirtschafts- und Verkehrsminister Tarek Al-Wazir macht ab und an deutlich, wo sein grünes Herz schlägt und dass er sich durchaus auch als Radverkehrsminister versteht. „Hessen macht sich stark für den Radverkehr“ ließ der Minister Mitte Juli verlauten, nachdem er im osthessischen Rasdorf gemeinsam mit Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) zwei neue Radfernwege eröffnet hatte. Auf Facebook ließ Al-Wazir sogleich ein Foto veröffentlichen, auf dem zu sehen ist, wie er mit einem Rad über eine grüne Graspiste rollt. Die vollmundige Botschaft lautete: Hessen setze einen „neuen Standard für Radfernwege“.
Bei Fahrradaktivisten vom Allgemeinen Deutsche Fahrrad-Club (ADFC), dem Verkehrsclub Deutschland (VCD), dem Verein Wegerecht und der Initiative Radentscheid in Darmstadt löste das Foto des auf der Graspiste radelnden Ministers wenig Begeisterung aus. Auch wenn es sich bei den beiden neuen Wegen um touristische Strecken handele, so vermittele der Minister doch den falschen Eindruck, welcher neue Standard in Hessen künftig für Radfernwege eigentlich gelten sollte.
Sabine Crook, die Vorsitzende des VCD Darmstadt, Thomas Grän, Vorstandssprecher des ADFC Darmstadt-Dieburg, Stephan Voeth, der Vorsitzende des jungen Darmstädter Vereins Wegerecht und David Grünewald, einer der Vertrauensleute des Bürgerbegehrens „Radentscheid Darmstadt“, halten in diesem Kontext auch die Planungen für den Bau des ersten hessischen Radschnellwegs zwischen Frankfurt und Darmstadt für „nicht gut“.
„Das ist kein Schnellweg, sondern wird ein Freizeitweg“, meinen die vier Fahrradaktivisten. Die geplante Strecke führe teilweise über unbefestigte Waldwege und es seien Abbiegungen im 90-Grad-Winkel geplant, die nicht hilfreich seien, um den Weg für Pendler attraktiv zu machen, die möglichst zügig ihr Ziel erreichen wollten.
„Radschnellstraßen sollten den Rang einer Landstraße bekommen und entsprechend vom Land geplant und auch gefördert werden“, schlägt daher Grünewald vor. Ziel sollte es sein, die Schnellfahrtrassen an Ortschaften vorbei zu führen sowie Zubringer von und zu den jeweiligen Ortschaften oder Stadtteilen zu bauen.
Auch aus Sicht des ADFC Landesverbands sollte das Land selbst die Radschnellwege bauen und zugleich ein zusammenhängendes Wegenetz schaffen. Der Bau dieser Wege durch Städte und Gemeinden sei „ineffektiv und zeitraubend“, weil das schwächste Glied in der Kette das Tempo bestimme. Der Bau der Schnellwege durch das Land spare Geld und Zeit, meint auch Radentscheid-Sprecher Grünewald. Er verweist in diesem Zusammenhang auf das Nachbarbundesland Nordrhein-Westfalen und den Bau des dortigen Radschnellwegs Ruhr RS1.
Der ADFC Hessen erwartet von einer künftigen Landesregierung, dass jährlich zehn Millionen Euro für den Bau von Radwegen an Landesstraßen bereitgestellt und zudem mehr Planer eingestellt werden. Bei der Ausstattung der Landesstraßen mit Radwegen belege Hessen bundesweit einen der hinteren Plätze. Nur etwa an elf Prozent der hessischen Landesstraßen gebe es derzeit Fahrradwege.
Der Verband schlägt auch vor, dass die Kommunen zeitlich befristet Radwege entlang der Landesstraßen bauen und vorfinanzieren und das Land das Geld in festgelegten Raten zurückzahlt, wie dies auch schon beim Bau von Landesstraßen praktiziert wird. In Hinblick auf eine umweltfreundliche Verkehrspolitik hält der ADFC das Fahrrad ohnehin für „ein unverzichtbares Instrument“, ohne das die Verkehrswende in Hessen nicht gelingen könne, wie es in einem sieben Punkte umfassenden Forderungskatalog heißt.
Der Darmstädter ADFC-Vorstandssprecher Grän und die VCD-Vorsitzende Crook sind auch der Auffassung. dass die Planer von Radwegen in den Behörden „zu selten aus ihren Amtsstuben kommen“ und zu wenig für die Belange der Radfahrer sensibilisiert seien. Die Radverkehrsplaner, von denen es ohnehin zu wenige gebe, müssten daher mehr ausgebildet und qualifiziert werden. Grünewald und Voeth schlagen daher ebenso wie der ADFC-Landesverband vor, dass die Empfehlungen für Radverkehrsanlagen, ein von der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen in Köln herausgegebenes technisches Regelwerk, auch in Hessen zum verbindlichen Standard bei der Planung und dem Betrieb von Radverkehrsanlagen gemacht werden müssten. In einigen Bundesländern wie in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen ist die Anwendung dieser Empfehlungen bereits verbindliche Voraussetzung für eine finanzielle Förderung.
Crook ist es zudem ein Anliegen, dass eine künftige Landesregierung auch die Anschaffung von Lastenfahrrädern finanziell fördert. Bei Autos gebe es schließlich auch steuerliche Anreize oder Prämien, damit weniger umweltschädliche Fahrzeuge auf den Straßen rollen.
Nach Einschätzung des ADFC liegt Hessen bei der Nutzung des Fahrrads im bundesweiten Vergleich „weit zurück“. Derzeit würden nur sieben Prozent der Wegstrecken in Hessen mit dem Fahrrad zurückgelegt. Bundesweit seien es zehn Prozent. „Das muss dringend verbessert werden“, meint auch der Darmstädter ADFC-Vorstandssprecher Grän.
Alle vier Darmstädter Vereinsvertreter sind wie der ADFC der Auffassung, dass eine künftige Landesregierung ein Programm zum Bau von witterungsgeschützten Fahrradabstellanlagen auflegen müsse, wo die Räder auch vor Dieben sicher seien. Solche Abstellanlagen sollten insbesondere an den Haltestellen des öffentlichen Personennahverkehrs errichtet oder ausgebaut werden. Gefordert werden zudem Fahrradparkhäuser und –stationen an Bahnhöfen und in den Stadtzentren sowie überwachte Fahrradparkplätze, Garagen und abschließbare Fahrradboxen in Regionen, die auf den Radtourismus setzten.
Der ADFC fordert zudem die Einbeziehung von stillgelegten Bahnstrecken, die nicht mehr reaktiviert werden, in das Netz der Radschnellwege und in das touristische Radwegenetz sowie eine bessere Befahrbarkeit von Wirtschaftswegen und die Sicherstellung des Winterdienstes auf den benutzungspflichtigen Radwegen.
Die in Darmstadt, Frankfurt und Kassel initiierten Radentscheide machen aus Sicht von Crook, Grän, Grünewald und Voeth zudem deutlich, dass es derzeit in Hessen „viel Nachholbedarf“ in der Radverkehrspolitik und einen großen Unmut bei Fahrradfahrern gibt. Daher sei „mehr Tempo, mehr Qualität und mehr Mut“ bei der Förderung des Radverkehrs wünschenswert. Dies sei deshalb nötig, weil es „auf allen Ebenen an Dynamik mangelt“.