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Ostermärsche: „Wir müssen die politische Aufklärungsarbeit wieder verstärken“

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Von: Oliver Teutsch

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Willi van Ooyen (75) ist Aktivist der Friedensbewegung. Er war von 2008 bis 2017 Abgeordneter der Linken im hessischen Landtag. Peter Jülich
Willi van Ooyen (75) ist Aktivist der Friedensbewegung. Er war von 2008 bis 2017 Abgeordneter der Linken im hessischen Landtag. Peter Jülich © peter-juelich.com

Ostermarsch-Urgestein Willi van Ooyen zur aktuellen Friedensbewegung und den Veranstaltungen in diesem Jahr.

Freuen Sie sich, wenn die Ostermarschbewegung angesichts der aktuellen Situation in der Ukraine in diesem Jahr wieder mal mehr Zulauf bekommt?

Das ist eine gewagte Frage. Ich wünsche mir, dass es mehr Beteiligung gibt als in den vergangenen Jahren, aber es wird angesichts von Tod und Vertreibung eine andere Betroffenheit sichtbar werden, das hat auch die große Demonstration am 13. März in Frankfurt gezeigt.

Haben Sie zwiespältige Gefühle, wenn Menschen mitmarschieren, die zusätzliche Waffen für die Ukraine fordern?

Wir werden niemanden rausdrängen, aber wir werden sehr viele Diskussionen und Debatten haben. Ich werde mit Kriegsbefürwortern auf alle Fälle das Gespräch suchen. Diese Debatte vom gerechten Krieg und von der „guten Seite“ ist ja nicht neu. Das haben wir ja auch bei der Entkolonialisierung erlebt und bei Kriegen in Angola, Mosambik oder Vietnam.

Können Sie die Forderungen nicht nachvollziehen? Reicht denn der Aufruf zu zivilem Ungehorsam angesichts der Bilder von Gräueltaten wie etwa aus Butscha?

Militärische Aktionen sind immer eine Form der Ohnmacht und von Politikversagen. Es hat ja auch nicht ausgereicht, dass ukrainische Soldaten vor Ort waren. Waffenlieferungen werden den Krieg nur verlängern.

Wie sehen Sie die diesjährigen Ostermärsche im historischen Kontext?

Mein erster Ostermarsch war 1966 in Dortmund. Wer in den 60er Jahren mitmarschierte, bekam häufig zu hören „geht doch rüber in die DDR“. Der Kalte Krieg duldete keine antimilitärischen Positionen. Wer damals gegen den Mainstream aktiv wurde, musste schon ein gesundes Selbstbewusstsein mitbringen. Erst allmählich wuchs aus der Ostermarschbewegung in den 80er Jahren eine gesellschaftlich breite pazifistische Grundhaltung. In den vergangenen Jahrzehnten hat die politische Aufklärung über Krieg und Atomkriegsgefahren trotz großer Proteste gegen Golfkrieg und Einsätze in Jugoslawien und Afghanistan aber wieder abgenommen. Wir müssen die politische Aufklärungsarbeit wieder verstärken.

Aber gerade die jüngeren Menschen erreicht die Ostermarschbewegung ja kaum noch. Die Ostermarschplakate haben Sie mit ihren 75 Jahren noch selbst ausgefahren …

Die jungen Leute sind tagsüber in der Schule oder studieren gerade. Ein Rentner wie ich hat da mehr Zeit. Aber die jungen Leute wie die Fridays for Future sollen mit ihrer Initiative aktiv bleiben und sich dort politisieren. Die müssen nicht alle in die Friedensbewegung rein. Ich setze auch darauf, dass in den Gewerkschaften stärker die sozialen Kämpfe entwickelt werden und der Zusammenhang zu einer friedlichen Politik deutlicher wird.

Was hält Sie selbst nach all den Jahrzehnten in der Friedensbewegung noch in Schwung?

Die Ostermärsche sind Teil der politischen Kultur unseres Landes. Damit bin ich älter geworden und weiß, dass es ohne gelebte Widerständigkeit keine Veränderung der Politik geben wird. Dabei war für mich immer die Aufklärung das zentrale Anliegen. Sicher haben wir auch mit Niederlagen wie Remilitarisierung, Notstandgesetzen oder atomaren Waffen leben und uns wieder neu aufrichten müssen. Die vielen freundschaftlichen Beziehungen untereinander und der regelmäßige Austausch haben dabei aber sehr geholfen.

Kommen denn jetzt in diesem Jahr mehr Menschen zu den Ostermärschen als in den vergangenen Jahren?

Es ist zumindest erkennbar, dass es mehr Aktionen geben wird. In Friedberg und Oberursel zum Beispiel gibt es diesmal eigene Veranstaltungen.

Wäre es für die Strahlkraft der Ostermarschbewegung nicht besser, viele Menschen zu einer gemeinsamen Demonstration auf die Straße zu bringen?

Die bundesdeutsche Friedensbewegung hat dezentrale Strukturen. Die Verankerung vor Ort zu entwickeln ist uns wichtig. Dies ist auch die Voraussetzung, zentral wieder zusammenzukommen.

Interview: Oliver Teutsch

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