Der Osten vor der Tür

Interview mit Gaby Babi?, der Leiterin des Filmfestivals goEast. Sie spricht über die programmatische Ausrichtung des Treffens, die unterrepräsentierte Filmszene aus den ehemaligen Ostblockstaaten und die Folgen der Globalisierung.
Frau Babic, goEast, das beschreibt ja erst einmal nur eine Richtung, keinen Ort. Wo fängt für Sie der Osten an und wo hört er auf?
Wir haben unser Verständnis „des Ostens“ erweitert und eine neue Festivalsektion konzipiert – Beyond Belonging, also so etwas wie „Jenseits aller Zuordnungen, jenseits aller Festschreibungen“. Und das sagt, dass wir nicht mehr nur in diesen räumlichen Grenzen denken, sondern versuchen, einen Fokus auf transkulturelle Phänomene zu legen. Insofern kann der Osten vor der eigenen Haustür beginnen. Aber goEast ist vor allem ein Forum für die – noch immer unterrepräsentierte – Filmkunst ehemaliger Ostblockstaaten, von Polen bis zum Kaukasus. Das ist ein riesengroßes Territorium.
Trotzdem erweitern Sie es nochmal – wieso?
Wir finden, dass in diesem Ost-West-Konzept der Eiserner Vorhang weiterwirkt. Es gibt also einen Osten und einen Westen, als seien das nach wie vor Gegensätze. Die globalen Realitäten sind jedoch anders. Ein Thema wie Migration etwa ist kein Thema des Ostens und auch keins des Westens. Das ist längst ein globales Thema.
goEast erlebt jetzt seine 11. Ausgabe. Welche Rolle spielt so ein Festival für die Filmkultur und die Filmwirtschaft in Osteuropa?
Ich merke bei meinen Sichtungsreisen, dass goEast inzwischen nicht nur bekannt ist, sondern auch einen sehr guten Ruf hat. Filmemacher haben ein starkes Interesse, ihre Filme bei uns zu zeigen. Zudem ist 3sat unser Medienpartner und kauft nach dem Festival einen Film. Das ist vielen auch sehr wichtig.
Wie hat sich die osteuropäische Filmlandschaft in den vergangenen zehn Jahren verändert?
Sehr, aber mit starken regionalen Unterschieden, auch da gibt es nicht den Osten als einheitliches Phänomen. Polen etwa hat inzwischen eine sehr entwickelte Filmwirtschaft und ist deshalb auf allen großen A-Festivals vertreten. Das gilt im Grunde für das gesamte mitteleuropäische Kino. Ganz anders ist es in den Balkanstaaten, da sind diese Strukturen noch nicht so ausgeprägt.
Ist es die Aufgabe von goEast, dann weiter gen Osten zu ziehen, dorthin, wo die Strukturen noch im Aufbau sind und Ihre Unterstützung brauchen?
Ja, das finde ich schon. Wir haben uns etwa gerade zum Ziel gesetzt, im Kaukasus verstärkt nach Talenten zu schauen und sie hierher zu holen. Wir haben etwa die Filmhochschule aus Tiflis eingeladen. Oft ist das Kino da besonders spannend, da es noch nicht so etabliert ist.
Ohne das Ost-West-Konzept, von dem Sie sagen, dass es möglicherweise nicht mehr trägt, überstrapazieren zu wollen: Gibt es eine osteuropäische Herangehensweise an Film, die sich von unserer westlichen unterscheidet?
Das ist sehr schwer zu sagen. Ich denke aber, dass es in der osteuropäischen Kinematografie eine Dominanz des Visuellen gibt. Wenn ich das etwa vergleiche mit dem französischen Kino und seiner Tendenz zum Dialog, zum Psychologisieren, dann verlassen sich viele der großartigen Filme aus Osteuropa viel mehr auf die Kraft der Bilder.
Welchen Film aus dem Programm würden Sie herausheben und warum?
Ich darf ja nicht über den Wettbewerb sprechen. Deshalb würde ich sagen: „Look Stranger“ aus der neuen Festivalsektion. Das Debüt der New Yorker Filmemacherin Arielle Javitch. Da spielt unser Jurymitglied Anamaria Marinca die Hauptrolle – eine Figur, die in einem Niemandsland unterwegs ist und versucht, nach Hause zu kommen. Eine unheimlich intensive Darstellung und ein unheimlich intensiver Film, der auf sehr verstörende Art das Thema Migration aufgreift.
Interview: Tim Gorbauch