Kulturverein als Anlaufstelle

Die Anzahl der Rumänen in Offenbach und in der Region wächst rasch. Ein Kulturverein ist Anlaufstelle für viele Zugezogene.
Zehn Frauen stehen in einem Raum und fangen leise an, auf Rumänisch zu singen. Sie wippen auf den Füßen, werden lauter und lauter, und einige lachen herzhaft, als der letzte Ton verklungen ist. „Das ist ein Lied über die schönen Frauen von Bukarest“, sagt Antuanela Moraru Fink. Die Frau mit dem straff gebundenen Zopf und der roten Lesebrille ist Präsidentin des rumänischen Kulturvereins ARO. „Rumänische Frauen sind temperamentvoll“, fügt sie hinzu – und ihr konzentrierter Blick weicht einem Lächeln.
Der in Offenbach ansässige und in der ganzen Region aktive Verein ist Anlaufstelle für die steigende Zahl von Rumänen, die sich vor allem wegen der Arbeitsplätze hier niedergelassen haben. In Offenbach wächst die Gruppe der Rumänen, die seit 2014 ohne Einschränkungen in Deutschland arbeiten können, schnell: Ihre Anzahl hat sich in den vergangenen fünf Jahren verdoppelt und könnte bald die Zahl der Menschen mit türkischem Pass übertreffen. 4812 Rumänen lebten im Juni in der Stadt, dazu kommen 490 rumänischsprachige Moldawier. Auch in Frankfurt und Wiesbaden gibt es viele Rumänen – ihr Anteil an der Bevölkerung ist in Offenbach aber dreimal so groß.
„Und es sind noch mehr“, sagt Brândusa Massion, die den Kulturverein vor drei Jahren mitbegründet hat – sie ist zu Zeiten des Kommunismus ins Land gekommen und hat längst einen deutschen Pass. Trotzdem fühlt sie sich auch als Rumänin. Der „Amicorum“ genannte Chor hat jedenfalls keine Nachwuchssorgen – an diesem Mittwoch sind wieder zwei Frauen dazugestoßen. Die Sängerinnen schätzen die Proben auch wegen des Heimatgefühls. „Ich komme auch zum Unterhalten“, sagt eine junge Moldawierin, die von ihrer rumänischen Nachbarin in Offenbach-Bürgel von dem Verein erfahren hat. Sie ist vor einem Jahr zum Arbeiten nach Deutschland gekommen.
Der Chor kommt mittwochabends im Stadtteilbüro am Goetheplatz zusammen. Massion bietet dort im Nebenraum gleichzeitig einen Deutschkurs an. Dieses Mal geht es um die Vergangenheit. „Wann hast du geboren?“, versucht sich ein junger Mann an einem Satz – „bist“ korrigiert ihn seine Sitznachbarin. „Manchmal fällt ihnen das Lernen schwer, weil sie so viel gearbeitet haben“, sagt Massion. Trotzdem gibt es Hausaufgaben. Die Kursteilnehmer sollen einen Text mit Infos rund um das Ankommen in Deutschland übersetzen. „Wer nicht Deutsch spricht, hat ein Handicap“, sagt Massion. Moraru Fink nickt, doch beiden ist es auch wichtig, ihre Wurzeln nicht zu vergessen. Moraru Finks 17-jährige Tochter, die gerade Abitur macht, ist deshalb zweisprachig aufgewachsen.
Massions Kurs kostet 30 Euro – für ein halbes Jahr. „Das geht nur wegen der günstigen Räume“, lobt sie die Stadt, die Vereinen wie ARO das Stadtteilbüro zur Verfügung stellt.
Rumänische Läden oder Restaurants gibt es in Offenbach nicht viele, vielleicht auch deshalb, weil der Großteil der Einwanderer schnell Jobs gefunden hat und sich nicht an einer Existenzgründung versuchen muss. „Von den in der letzten Zeit zugewanderten Gruppen aus Südosteuropa stellen wir bei den Rumänen einen erheblich höheren Anteil von beruflich gut qualifizierten Menschen fest als bei den Bulgaren. Rumänen tun sich deshalb am Arbeitsmarkt leichter, erreichen häufiger gute berufliche Positionen, nahe denen im Herkunftsland“, berichtet der Leiter des Offenbacher Jobcenters, Matthias Schulze-Böing.
Der Anteil der Rumänen, die Hartz IV beziehen, lag 2016 in Offenbach mit 14,5 Prozent ziemlich exakt auf dem Niveau der Deutschen. Bei den Bulgaren lag der Wert mit 32,2 Prozent deutlich höher. Bulgarien hat einen größeren Agrarsektor, Rumänien mehr Industrie und einen ausgebauten Bildungsbereich, versucht sich Schulze-Böing an einer Erklärung.
Antuanela Moraru Fink arbeitet im Schichtdienst am Flughafen – hat in ihrer Heimat aber Wirtschaftswissenschaften studiert. Brândusa Massion ist Englischlehrerin und hat in Deutschland im IT-Bereich gearbeitet.
Und Chorleiterin Kara Molnar, die auch Jazzsongs singt, ist Ingenieurin. Sie ist vor drei Jahren wegen eines „guten Jobs“ mit ihrem Mann ins Rhein-Main-Gebiet gekommen. „Wir dachten, wir versuchen es mal und schauen, was passiert“, erzählt die 34-Jährige in sehr gutem Deutsch. So wie es ausschaut, werden sie bleiben.
Der Chor will langfristig auch deutsche Lieder singen. „Aber erst, wenn alle gut Deutsch sprechen“, sagt Jenita Calinescu. Denn um „richtig schön“ zu singen, müsse man die Sprache akzentfrei beherrschen. Es bleibt also – vorerst – bei den schönen Frauen aus Bukarest.