„Durchs Hintertürl nach Europa“

Die rumäniendeutsche Lyrikerin Katharina Eismann war 16, als den Eltern, die zur Minderheit der Donauschwaben gehörten, mit den Kindern die Ausreise aus der Ceausescu-Diktatur erlaubt wurde. In einer Ausstellung und einem „Bordbuch“ greift sie das Thema „Grenzgänge“ auf.
„Mut und Verzweiflung sind ein Paar“, schreibt Katharina Eismann in ihrer Erzählung über eine spektakuläre Flucht, die ein Pfarrer und leidenschaftlicher Schnapsbrenner vor gut 40 Jahren nach einem Dorffest im deutschsprachigen Banat angezettelt hatte. „Als der Sänger vom griechischen Wein nur noch kippte, die ‚schwarze Paloma‘ den Taubenschlag verließ, die Verliebten sich verdrückten, gingen sie durch, ohne Talar, ohne Rucksack, ohne Kirchweih-Hut und ohne Servus, im verschwitzten Jerseykleid durch Wald und Wiese, durchs Hintertürl nach Europa: fünfzehn Trachtenpaare, allen voran der stocknüchterne Pfarrer“, heißt es in Eismanns Erzählung, die in ihrem jüngst veröffentlichten „Bordbuch Grenzgänge“ erschienen ist. Einer der Flüchtlinge war ihr Cousin.
1964 in Temeswar geboren
Die 1964 im rumänischen Temeswar geborene Eismann, die mit Mann und Sohn seit mehr als 15 Jahren im idyllischen Ortsteil Rumpenheim lebt, ist mit dieser Schilderung einer gelungenen Flucht durch den Eisernen Vorhang aufgewachsen. „Die Geschichte spielt in meinem Leben eine große Rolle“, sagt sie. Ihre Eltern, die zur deutschsprachigen Minderheit der Donauschwaben gehörten und Deportation und Enteignung erlebten, mussten 16 Jahre warten, bis ihnen mit den beiden Kindern 1981 endlich die langersehnte Ausreise aus der Ceausescu-Diktatur in die Bundesrepublik erlaubt wurde.
Die Geschichte vom unkonventionellen Pfarrer wirkt sogar bis in die Gegenwart. Denn sie war Auslöser für die aktuelle Ausstellung im Haus der Stadtgeschichte, der sie auch den Titel gab. „Nach dem Fest: das Fest“ erinnert an das lange zurückliegende, aber wieder hoch aktuelle Ereignis von Flucht. „Mut und Verzweiflung sind doch auch heute der Grund dafür, dass Menschen ihre Plastiktüten packen und ihre Heimat verlassen“, sagt sie. Die Ausstellung versteht sich als „interaktives Projekt“, das einen Dialog über „Grenzgänge“ und über Migration ermöglichen will.
Katharina Eismann ist als Künstlerin nach eigenen Angaben eine „totale Quereinsteigerin“. 15 Jahre hat sie als Übersetzerin für die Textilmaschinenbaufirma Karl Mayer in Obertshausen gearbeitet, bevor sie sich mit ihrem Mann im Messebereich selbstständig machte. Später studierte sie zwei Jahre Slawistik in Frankfurt.
2009 ermutigte sie ein früherer Mitschüler aus Temeswar, mehr zu schreiben. Eismann begann mit Gedichten, später kam Prosa hinzu. Erst durch ihre künstlerische Tätigkeit als Lyrikerin und Autorin ist sich die heute Einundfünzigjährige ihrer rumänischen Wurzeln bewusst geworden. „Ich war ein Kind des Kommunismus“, sagt sie. Aber auch die Tatsache, dass sie einer Minderheit angehörte und als „Nazikind“ beschimpft wurde, habe sie geprägt. In ihren Gedichten unternimmt sie Zeitreisen ins deutsch-rumänische Banat, über das die Nobelpreisträgerin Herta Müller in beklemmender Genauigkeit geschrieben hat. Wie die elf Jahre ältere Schriftstellerin war auch Eismann Schülerin an der deutschen Schule „Nikolaus Lenau“ in Temeswar, wo Literatur einen hohen Stellenwert hatte.
Gedichte und Erzählungen
Während Müller Zensur, Verfolgung und Armut schonungslos offen thematisiert, schildert Eismann zwar auch Unterdrückung und die falsche Idylle der Trachtenfeste der Landsmannschaften. Sie erzählt von Verlust und Brüchen nicht nur in ihrer Biografie. Aber ihre Texte strahlen bei aller Melancholie auch eine große Leichtigkeit aus. In den vergangenen Jahren veröffentlichte Eismann Gedichte und Erzählungen in Anthologien, las an ungewöhnlichen Orten und beteiligte sich an den Offenbacher Kunstansichten. Ihre künstlerische Tätigkeit habe dazu beigetragen, dass sie, die lange mit Offenbach gefremdelt habe, diese nun als „Stadt der Vielfalt“ schätze, sagt sie.
Eismann ist keine Künstlerin, die sich im Elfenbeinturm versteckt. Im Gegenteil. Sie sucht den Kontakt und ist offen für neue Erfahrungen. Ihr Erzählfaden reicht vom Rumpenheimer Mainbogen bis nach Temeswar. Dabei erweist sie sich als scharfe Beobachterin auch von Offenbach. „Die Multikulti-Atmosphäre von Temeswar finde ich hier auch.“ Das gefällt ihr.