OFC-Fanmagazin: Gegen Rassismus, für die Offenbacher Kickers

Offenbach: Das Kultheft „Erwin“ steht seit 25 Jahren für Toleranz und Spaß. Namensgeber war OFC-Legende Erwin Kostedde, der erste dunkelhäutige Nationalspieler Deutschlands.
Warum Erwin als Titel eines Fußball-Fanmagazins? Diese Frage kann nur jemand stellen, der sich nicht mehr an die Erstklassigkeit der Offenbacher Kickers oder den legendären 6:0-Sieg gegen den amtierenden Deutschen Meister FC Bayern München erinnern kann. Das war 1974. Und damals war Erwin Kostedde der umjubelte Held am Bieberer Berg und Torschütze des Jahres. Aber nicht sein Erfolg war der Grund dafür, dass der Stürmer Namenspatron des Ende 1994 gegründeten OFC-Fanmagazins wurde. Vielmehr sollte der Titel ein Statement sein.
Denn Kostedde, Sohn eines afroamerikanischen GIs und einer deutschen Mutter, war der erste dunkelhäutige Nationalspieler Deutschlands und Vorbild für andere nichtweiße Spieler. „Kostedde vereint vieles, was für die Offenbacher Kickers steht. Er hat in seinem Leben Höhen erlebt. Aber er ist auch tief gefallen“, sagt Volker Goll, Mitgründer des Heftes.
Nach Ende seiner Profikarriere verlor Kostedde sein Vermögen an einen Anlagebetrüger. 1990 saß er mehrere Monate wegen des Verdachts auf einen Tankstellenüberfall in Untersuchungshaft. Er wurde zwar freigesprochen und erhielt 3000 Mark Entschädigung. Aber sein Ruf war ruiniert.
Auch die Kickers waren an einem Tiefpunkt, als die Idee für das unabhängige Fanmagazin reifte; sie krebsten am unteren Tabellenende der damals drittklassigen Regionalliga Süd herum. „Der Verein war sportlich, finanziell und stimmungsmäßig im Niedergang“, erinnert sich Goll, 1985 nach Offenbach gezogen und zum Kickers-Fan geworden. „Wir wollten uns und anderen mit dem Magazin den Spaß am Fußball wiedergeben.“
Doch den Macherinnen und Machern geht es bis heute auch darum, ein Zeichen gegen rechte Tendenzen in der Fanszene zu setzen. Rechte Parolen, antisemitische Sprüche und Affenlaute gegenüber nichtweißen Spielern seien seinerzeit in allen Fußballstadien „normal“ gewesen, sagt Goll, der heute für die Koordinationsstelle Fanprojekte der Deutschen Sportjugend tätig ist.
OFC-Fanmagazin
„Erwin“ , das unabhängige Kickers-Fanmagazin, erschien erstmals im November 1994. Damals gab es noch keine Stadionzeitung. Zu den Gründern gehörten Antje Hagel, Volker Goll und Andreas Lampert.
Die Auflage lag anfangs bei 700 Exemplaren, das Heft kostete eine Mark. In Spitzenzeiten wurden 3000 Exemplare gedruckt, heute sind es 1500; Kosten: zwei Euro je Stück. 93 Hefte sind bislang erschienen. Zwischen 2007 und 2013 gab es keinen „Erwin“.
Das Redaktionsteam ist ehrenamtlich tätig. Es besteht aus sechs Frauen und fünf Männern. Der Verein unterstützt das Magazin nicht finanziell, aber er ermöglicht Interviews mit Spielern und Verantwortlichen. ags
Vor „Erwin“ habe es Anfang der 1990er Jahre einen Zwischenfall beim Spiel gegen einen Frankfurter Fußballklub gegeben. OFC-Fans hätten antisemitische Parolen gegrölt und die Spieler als „Juden“ beschimpft, erzählt Goll. Er schrieb mit weiteren OFC-Fans einen offenen Brief, um zu erreichen, dass der Verein Stellung nimmt. „Das hat dort aber niemanden interessiert.“ Diese Ignoranz war der Auslöser, das Magazin zu gründen, das der Faszination Fußball nachspürt, aber auch klar Stellung für Toleranz und Vielfalt bezieht.
Das gelingt ohne erhobenen pädagogischen Zeigefinger. Die Schreiber mischen sich zwar ein, kritisieren und fordern aktuell mehr Demokratie, Dialog und Transparenz im Verein. Aber sie stellen niemanden bloß, ihnen geht es um den Zusammenhalt im Klub. Sie ermuntern dazu, Kontroversen miteinander auszutragen, aber zu respektieren, dass es unterschiedliche Standpunkte gibt.
Zum Redaktionsteam gehören auch Steffie Wetzel (seit 1995) und Nico Fröhlich (seit 2013). Wetzel war 1986 erstmals auf dem Bieberer Berg. Sie blieb Fan, „auch wenn es nicht viel gab, was einen erheitert hat“. Das habe sich erst mit „Erwin“ geändert. „Plötzlich konnte ich lachen.“
Auch das ist ein Markenzeichen des Kultheftes: witzig, sensibel und menschenfreundlich zu sein. Der Humor ist großartig. Besondere Sorgfalt legt das Team auf kuriose Fotos und lustige Bildunterschriften. Unter einem Foto jubelnder Spieler und Fans ist zu lesen: „Klassische OFC-Rechnung: Kapitän verletzt + Rückstand + Unterzahl = Sieg.“
Nach 65 Ausgaben kam 2007 das Aus für „Erwin“. Die Macher waren müde und glaubten, der OFC komme allein klar. Eine grobe Fehleinschätzung. Nach Insolvenz, Lizenzentzug, Abstieg und vielen Negativschlagzeilen wurde der Ruf nach einem Comeback lauter. Fünf ehemalige Mitarbeiter ließen sich erweichen, heute sorgt ein Team aus elf Leuten trotz Dauerkrise für positive Stimmung. Ein bisschen stolz sind sie, dass ihr jahrelanges Engagement gegen Diskriminierung etwas bewegt hat. Anfang Februar wurde in die OFC-Satzung ein Passus aufgenommen, dass der Verein aktiv gegen „antidemokratische, nationalistische und antisemitische Tendenzen“ eintritt.
„Damit ist klar, dass ein solches Verhalten als vereinsschädigend angesehen wird und auch Konsequenzen hat“, sagt Wetzel. Sie wie auch Goll und Fröhlich räumen ein, dass nach wie vor rechte Tendenzen in den Stadien ausgelebt würden. Aber der Umgang damit sei ein anderer.