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Nur ein Bruchteil findet Zuflucht

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Raus aus der Hölle der eigenen vier Wände: Bundesweit fehlen 15000 Frauenhaus-Plätze. Auch die Einrichtungen in der Region sind ausgelastet und müssen Hilfesuchende bereits abweisen.
Raus aus der Hölle der eigenen vier Wände: Bundesweit fehlen 15000 Frauenhaus-Plätze. Auch die Einrichtungen in der Region sind ausgelastet und müssen Hilfesuchende bereits abweisen. dpa © dpa

Frauenhäuser sind permanent belegt und klagen über unsichere Finanzierung

hochtaunus - Anfang März schlagen Deutschlands autonome Frauenhäuser mit einem bundesweiten Streik Alarm. In den Bundesländern fehlen fast 15000 Plätze für Frauen in Not, die vor Gewalt in der Partnerschaft oder der Familie flüchten müssen. Täglich müssten Hilfesuchende abgelehnt werden. Seit Einführung des europaweiten Abkommens zum Kampf gegen Gewalt an Frauen, der sogenannten Istanbul-Konvention im Jahre 2018, wurde dessen Umsetzung nun zum ersten Mal evaluiert. Der vom Europarat beauftragte GREVIO-Bericht von 2022 wirft Deutschland erhebliche Defizite vor: Es fehle an einer angemessenen und flächendeckenden Finanzierung der Frauenhäuser in Deutschland. Die Liste der Kritikpunkte ist lang. Frauenhäuser bieten von Gewalt betroffenen Frauen und ihren Kindern eine anonyme und geschützte Unterkunft. Der erste Kontakt findet meist telefonisch, online oder durch Beratungsstellen statt.

Mit 322 von der Polizei erfassten Fällen häuslicher Gewalt im letzten Jahr, rund 100 mehr als noch vor zehn Jahren, nimmt auch die Gewalt in den eigenen vier Wänden zu. Anja Körneke, Mitarbeiterin der für den Landkreis einzigen Beratungs- und Interventionsstelle „Frauen helfen Frauen“ in Oberursel, ist es wichtig, diese Gewalt richtig zu definieren. „Häusliche Gewalt ist nicht nur körperlich“, erklärt sie. „Man muss auch die Signale ökonomischer Gewalt, wie beispielsweise einer ungewollten finanziellen Kontrolle des Partners, oder psychischer Gewalt, wie etwa verbale Demütigungen, wahrnehmen können.“ Zusammen mit Andrea Pilger, Geschäftsführerin des Vereins, arbeitet sie eng mit den zwei Frauenhäusern des Hochtaunuskreises in Oberursel und Bad Homburg zusammen. „Dieser Präventionsbereich ist uns in der Beratung besonders wichtig“, sagt Pilger. „Eine Öffentlichkeitsarbeit ist notwendig, um das Thema aus der Tabu-Zone herauszuheben. Frauen sollten sich nicht allein fühlen mit dem, was sie erleben.“

Dazu gehöre auch eine ausdrückliche Täterarbeit mit den gewalttätigen Partnern, die ihr Verhalten nur selten von allein ändern. Es gäbe aber nur einen Täter-Berater im Landkreis. Hier müsse mehr investiert werden. „So bekämpfen wir nämlich weiterhin nur die Symptome, nicht die Ursachen und brauchen deshalb auch immer wieder mehr Plätze in den Häusern“.

140 Frauen mussten abgewiesen werden

Über das Bundesinvestitionsprogramm „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“, wurden zuletzt Förderanträge in Höhe von 7,7 Millionen Euro bewilligt. Auch durch eine Einwohnerpauschale und eine hohe Spendenbereitschaft der Kommunen kommen die sozialen Einrichtungen des Landkreises an dringende Finanzmittel. Stabil und ausreichend ist diese Art von Förderung jedoch noch nicht. Oft besteht die staatliche Hilfe aus Einmalzahlungen. Wichtig, so Pilger und Körneke, sei eine stabile Finanzierung, um Planbarkeit zu schaffen, die an den Bedarf angepasst werden könnte, um zumindest das Personal und eine bessere Bewirtschaftung in den Einrichtungen weiterhin zu ermöglichen. Hauptgeldgeber für das Frauenhaus in Bad Homburg ist die Stadt selbst. Durch massive Kürzungen im Sozialbereich ist Dagmar Wacker, Leiterin des Hauses, nun andererseits mehr auf Zuschüsse des Landes angewiesen. Die Anzahl der von ihr abgelehnten, hilfesuchenden Frauen steigt jährlich. Auch ihr Haus ist fast dauerhaft belegt. Im Jahr 2022 waren es 114 Frauen mit knapp 240 Kindern, die aus Platzgründen keine Unterkunft finden konnten, knapp doppelt so viel wie noch 2019.

Zwar gäbe es Platz für bis zu sechs Familien, jedoch erstreckt sich die durchschnittliche Aufenthaltsdauer mittlerweile auf bis zu neun Monate. Grund dafür sei nicht nur der angespannte Wohnungsmarkt, auf dem immer mehr Wohnungen aus der Sozialbindung fallen, sondern auch die enormen bürokratischen Hürden, auf die geflüchtete Frauen treffen, die oft ohne Dokumente eine Einrichtung beziehen. Trotz des niederschwelligen Zugangs zu den Einrichtungen werde es den Frauen so erschwert, sich ohne den gewalttätigen Partner eine neue Existenz aufzubauen; und der Aufenthalt im Frauenhaus selbst ist durch den permanenten Stress alles andere als therapeutisch.

Außerdem betonen Dagmar Wacker sowie Andrea Pilger die Probleme mit dem Umgangsrecht. Dieses steht für die beiden Sozialarbeiterinnen im Konflikt mit dem Gewaltschutz, da der weitergeführte Umgangskontakt mit dem gewalttätigen Partner den Kindern sowie Müttern schadet. Täter können so weiterhin zum Opfer Kontakt halten, obwohl dieses bereits in einer Schutzeinrichtung untergebracht ist. „Sobald eine Frau in ein Frauenhaus kommt, sollte bis zur Klärung der Sachlage das Umgangsrecht idealerweise ausgesetzt werden“, fordert Andrea Pilger im Namen des Vereins. Eine Gewaltbeziehung verläuft oft nicht linear. Viele der untergebrachten Frauen kehren zu ihren Männern zurück. Gewalt wird verziehen, dem Druck der Kinder wird nachgegeben oder es bilden sich emotionale Abhängigkeiten.

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