Neuer Mordprozess gegen Sylvia D
Hanauer Sektenchefin soll 1988 Vierjährigen in Sack gesteckt haben / Prozess in Frankfurt
Und wieder steht die 75 Jahre alte Hanauerin Sylvia D. wegen Mordes vor dem Landgericht, diesmal vor dem Frankfurter. Die mutmaßliche Anführerin einer obskuren Kleinst-Sekte mit maximal 20 Gläubigen soll im August 1988 einen vier Jahre alten Jungen in einem Sack verschnürt haben - in dem das Kind an seinem Erbrochenen erstickte. Die Mutter des Jungen, ein Sektenmitglied, hatte ihn zuvor in die Obhut D.s übergeben, die in dem Kind „die Reinkarnation Adolf Hitlers“ gesehen haben soll, die zu allem Überfluss auch noch „von den Dunklen besessen“ sei.
Lange war der Tod als Unfall angesehen worden. Das änderte sich erst, als 2015 der HR und die FR über die belastenden Aussagen mehrerer Sektenaussteiger berichtet hatten.
Das Landgericht Hanau hatte D. im September 2020 wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Und der Bundesgerichtshof (BGH) hatte das Urteil auf D.s Revision hin im März 2022 vollumfänglich einkassiert und den Fall nach Frankfurt überwiesen. Der BGH sah diverse Mängel in dem Hanauer Urteil. So sei etwa nicht geklärt worden, ob D. den Tod des Jungen aktiv herbeigeführt oder durch Unterlassung zu verantworten habe. Außerdem sei nicht so recht herausgearbeitet worden, was die Angeklagte sich bei ihrer Tat gedacht habe und ob sie überhaupt zurechnungsfähig sei - beides diskussionswürdige Fragen bei Menschen, die Vierjährige in einen Sack gesteckt haben sollen und nach eigener Überzeugung eine Standleitung zum Herrgott haben.
Denen muss sich nun das Frankfurter Landgericht stellen, und es hat sich dafür Zeit genommen - bislang sind 23 Verhandlungstage bis Ende August angesetzt.
Die Angeklagte sei laut Beobachtern, die schon den Hanauer Prozess verfolgt hatten, in ihrer noch andauernden Inhaftierung merklich aufgetaut. Denn diesen habe sie fast ausnahmslos schweigend begleitet. In Frankfurt aber gerate sie geradezu ins Babbeln, etwa als sie die Kammer wegen ihres Alters um längere Pausen zwischen den Verhandlungstagen bittet - was diese aus Zeitnöten höflich, aber bestimmt verweigert. D.s Verteidiger kündigen zudem am ersten Verhandlungstag, an dem nur die Anklage verlesen wird, ein „Opening Statement“ für kommenden Freitag an. Etwas seltsam wirkt es, als die Angeklagte in dem für seine grauenhafte Akustik berüchtigten Sitzungssaal 165 C ihr Mikrofon testet und dabei ein höheres Wesen duzt, bei dem es sich offenbar nicht um den Vorsitzenden Richter Urs Böcher handelt: „Hallo! Kuckuck! Hörst du mich?“
Laut der Internetplattform „Psiram“, die sich esoterischen Unfugs jeglicher Art annimmt, bezeuge die Hanauer Sekte eine „krude Lehre, die man als eine Mischung aus Theorien von Carl Gustav Jung, Christentum, Okkultismus, Personenkult und Diktatur bezeichnen könnte“. Gegründet wurde sie in den frühen 80ern von Sylvia D.s mittlerweile gestorbenem Ehemann, einem Pastor, der seinem Rausschmiss aus der evangelisch-methodistischen Kirche wegen Traumdeuterei durch Austritt zuvorgekommen war. Die Sektenmitglieder huldigten einem „angeblich mit D. verbundenen positiven großen Gott, den sie ,der Alte‘ und ,Alterchen‘ nennen“.
Die Mutter des Opfers war im Oktober vergangenen Jahres vom Vorwurf des Mordes freigesprochen worden. Sie habe geglaubt, sie „tue Gutes“, wenn sie ihren Sohn D. überlasse, die sie ebenso gesehen habe wie Sylvia D. sich selbst - als Mensch „auf einer Ebene mit Jesus“, der „von Gott direkt Befehle empfange“. Mit der in diesem Fall seitens der Staatsanwaltschaft eingelegten Revision befasst sich derzeit der BGH.