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Freunde konnten Todesfahrer nicht stoppen

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Der Angeklagte Hendrik R. versteckt sein Gesicht mit einer Mappe. Links sein Verteidiger Thomas Scherzberg. Knapp
Der Angeklagte Hendrik R. versteckt sein Gesicht mit einer Mappe. Links sein Verteidiger Thomas Scherzberg. Knapp © Knapp

Zeugen kämpfen im Thielsch-Prozess nach siebeneinhalb Jahren mit Erinnerungslücken

Kriftel - Es sind kleine Puzzleteile, die die 22. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt unter der Leitung des Vorsitzenden Richters Dr. Jörn Immerschmitt mühsam zusammensetzen muss, um sich ein eigenes Bild davon zu machen, was am 6. September 2015 nach dem Hoffest am Berg geschehen ist. Wie schwierig dies ist, zeigte sich einmal mehr am gestrigen dritten Verhandlungstag. Geladen waren mehrere Zeugen, die alle mitbekommen hatten, dass Silke Thielsch und ihr Lebensgefährte Oliver Kriz, die sich am Zebrastreifen geküsst hatten, von Hendrik R. in einem Mercedes angefahren wurden. Die 41-Jährige wurde damals auf die Motorhaube geschleudert, rutschte während der Fahrt herunter und verfing sich im Radkasten des Wagens. Nachdem sie 400 Meter mitgeschleift wurde, konnte sie nur noch tot geborgen werden.

Doch was haben die Zeugen genau gesehen? Und vor allem: an was können sie sich noch erinnern? Jens K. kämpft auch siebeneinhalb Jahre danach gestern mit den Tränen, als er dem Gericht erzählt, wie er das Geschehen erlebt hat. Er sei gerade von dem Obsthof Richtung Kreisel gegangen, als er die ihm bekannte Stimme von Oliver Kriz gehört hatte, der „wo ist meine Frau“ rief. Dann habe er ein Auto wegfahren sehen und sei diesem hinterher. Als er zu dem Auto kam, das hinter der Kreuzung mit der L 3011 am Straßenrand stand, habe er die Beine von Silke Thielsch am Radkasten gesehen. „Ich habe mich hingekniet, gesagt, ’Silke halt durch’.“ Doch von ihr kam kein Lebenszeichen mehr.

Als Jens K. sah, dass der Lebensgefährte angerannt kam, lief er ihm entgegen, wollte ihn abhalten, zum Auto zu gehen. Doch dieser wehrte sich, beide stürzten. Die beiden Männer hat auch Svenja B. gesehen, die als erste mit ihrem damaligen Freund an der Stelle an der Kapellenstraße ankam, wo das Auto endlich angehalten hatte. Zuvor hatte die 32-Jährige, wie viele andere, mit ihrem jetzigen Ehemann am Fußweg in unmittelbarer Nähe des Kreisels gestanden.

War es ein Schrei oder ein Knall?

Von einem Schrei aufmerksam geworden, habe sie zu dem Kreisel geschaut. „Ich sah die blonden Haare einer Frau“, berichtet die Zeugin, dann sei der Kopf verschwunden gewesen. Gemeinsam sei sie mit ihrem Freund dem Auto hinterher gelaufen. Da sie die Frau nicht mehr sahen, hatten sie mit ihren Handys in den Straßengraben geleuchtet, ob sie da vielleicht liegt. Dem Fahrer hätten sie signalisiert, er solle anhalten.

Auch diesmal wurden die Zeugen mit Aussagen konfrontiert, die sie vor siebeneinhalb Jahren bei der Polizei oder in dem ersten Prozess 2017 gemacht hatten. So fragte der Verteidiger des Angeklagten Svenja B, ob sie nun einen Schrei oder vielleicht doch eher einen Knall gehört habe, wie sie es bei der Polizei am 16. September 2015 zu Protokoll gegeben hätte. Interessant für das Gericht war vielmehr die Aussage von Markus B., dass so viele Leute an dem Abend nach Schluss der Veranstaltung unterwegs waren, dass der Mercedes nur langsam durch den Kreisel gefahren sein konnte. Ein weiterer Zeuge hat zwar nicht mitbekommen, was am Zebrastreifen geschehen ist, aber er habe noch genau die Geräusche des Mercedes im Kopf: „Der hat was mitgeschleift.“

Über eine unvollständige Erinnerung an die Geschehnisse verfügt auch Daniel, der zusammen mit dem Angeklagten und seinem Freund Benjamin nach Kriftel gekommen war. Eigentlich hatten die drei guten Freunde die meiste Zeit auf der Couch an der Playstation verbracht, doch an diesem Abend lockte sie der Abschiedsauftritt von Daniels Vater, der mit seiner Band beim Hoffest spielte, nach Kriftel. Über seinen ehemaligen Freund, zu dem er seit dem 6. September 2015 keinen Kontakt mehr hat und den er trotzdem sehr vermisse, will Daniel vor Gericht nichts Negatives sagen. Doch das furchtbare Geschehen belaste ihn noch heute. Nichts am Verhalten seines Freundes habe darauf schließen lassen, dass so etwas passieren könnte. Nach dem Fest auf dem Heimweg waren alle drei ins Auto gestiegen, den Mercedes von Hendriks Vater, Benjamin auf den Beifahrersitz, Daniel nahm hinter dem Fahrer auf der Rückbank Platz. Vor dem Kreisel habe er von hinten das Pärchen in der Mitte der Fahrspur gesehen, sagt Daniel vor Gericht, zwei bis drei Meter vor den beiden stoppte der Mercedes.

Hendrik sei dann noch ein Stück weiter vor gefahren, bis er die beiden leicht berührte. Dann habe er Gas gegeben. Von der Rückbank aus habe er die Frau auf der Motorhaube gesehen, doch nur wenige Sekunden, dann sei sie vorne rechts über die Motorhaube heruntergerollt, sagt Daniel gestern im Gerichtssaal. „Hör auf, bleib stehen“, habe er Hendrik laut und nachdrücklich aufgefordert, stehen zu bleiben. Ähnliches soll Benjamin getan haben. Dann habe er gemerkt, dass der Mercedes „über etwas gefahren ist“. Ja, er habe gedacht, das ist die Frau, so der 32-Jährige.

Dagegen hatte sein Freund Benjamin, der auf der Beifahrerseite saß, in der letzten Verhandlung als Zeuge ausgesagt, er habe nichts gemerkt, sondern vielmehr gedacht, dass die Frau am Straßenrand liegt. Auch der Angeklagte selbst hatte in seiner Einlassung dargelegt, dass er angehalten hätte, wenn er es für möglich gehalten hätte, dass Silke Thielsch unter das Auto geraten sei.

Der Prozess wird kommenden Donnerstag, 16. März, fortgesetzt.

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