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„Dimension dieser Katastrophe ist riesig“

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Einsatzkräfte der „Schnelleinsatzeinheit Bergung Ausland“ (SEEBA) des Technischen Hilfswerks beim Einsatz nach dem schweren Erdbeben in der Türkei und Syrien. Katharina Garrecht/THW
Einsatzkräfte der „Schnelleinsatzeinheit Bergung Ausland“ (SEEBA) des Technischen Hilfswerks beim Einsatz nach dem schweren Erdbeben in der Türkei und Syrien. Katharina Garrecht/THW © THW

Peter Benz vom THW war im türkischen Erdbebengebiet und schildert seine Eindrücke

Hofheim - Gestern musste der Ingenieur für Elektrotechnik wieder zur Arbeit; keine 48 Stunden nach seiner Rückkehr aus der Türkei hat ihn der Alltag wieder. „Das ist kein einfacher Schritt nach einem solchen Einsatz“, sagt Peter Benz und wirkt nachdenklich. Seit beinahe 40 Jahren ist er beim Technischen Hilfswerk (THW), inzwischen Zugführer im Ortsverband Hofheim, und hat schon Auslandseinsätze hinter sich, doch dieser war anders: „Wir haben zwar das Gefühl, einen wichtigen Beitrag geleistet zu haben, aber eben nur einen winzig kleinen, denn die Dimension dieser Erdbebenkatastrophe ist riesig.“ Der 59-Jährige ist spürbar ergriffen von den Eindrücken vor Ort und fühlt sich geerdet: „Dort haben die Leute wirkliche Probleme und heftige Schicksale zu ertragen, daher habe ich gerade wenig Toleranz für banale Diskussionen hier. Die Prioritäten im Leben verschieben sich gewaltig.“

Überlebenschancen sinken nach vier Tagen drastisch

Der Hattersheimer gehört seit 2009 zu den rund 230 Einsatzkräften des SEEBA-Teams (Schnell-Einsatz-Einheit Bergung Ausland) des THW und begleitete vorige Woche als stellvertretender Teamleiter 41 Männer und 9 Frauen zwischen Mitte 20 und 60 sowie vier Hunde in die Türkei. Neben Bergungs- und Ortungshelfern waren Logistiker für die Camp-Organisation, Statiker sowie eine Ärztin und ein Notfallsanitäter gefragt. Am Montagabend, 6. Februar, ging es für das innerhalb weniger Stunden rekrutierte Einsatzteam nach Köln, der Charterflug mit 16 Tonnen Ausstattung an Bord konnte allerdings erst Mittwochfrüh starten. „Diese verlorene Wartezeit hat uns sehr geschmerzt, denn nach einer solchen Katastrophe ist das Zeitfenster, in dem man Überlebende finden kann, eh schon sehr klein.“

Nach der Entladung des Flugzeugs erreichten die Helfer Mittwochnachmittag ihr Einsatzgebiet in Kirikhan in der Provinz Hatay. Während der Koordination mit den lokalen Behörden wurde das Camp aufgebaut - mit Schlafzelten und separatem Bereich für die kontaminierte Einsatzkleidung. Um komplett autark zu sein, wurden auch alle Lebensmittel und Wasser mitgebracht, außerdem - gewöhnungsbedürftige - Einwegtoiletten.

Aufgeteilt in zwei Bergungsgruppen à 14 Leute und zwei Hunde arbeitete das Team dann ab Mittwochabend durchgehend im Schichtsystem an den zugewiesenen Einsatzstellen. Zwei türkischstämmige Deutsche, die am Flughafen spontan ihre Hilfe angeboten hatten, bewährten sich als Dolmetscher. „Mit Englisch wären wir in diesen ländlichen Gebieten nicht weit gekommen, und so waren wir dankbar für diese Unterstützung“, stellt Benz fest. Das Ausmaß der Zerstörung sei riesengroß, ganze Straßenzüge eingestürzt gewesen. „Da sind wir dann auf Hinweise aus der Bevölkerung und die Zusammenarbeit mit lokalen Behörden, Polizei und Militär angewiesen, wo Stimmen zu hören waren und es noch Lebenszeichen gab.“

Der Erfolg der Mission zeigt sich für ihn in mehreren Aspekten: „Wir haben zwei Menschen lebend gerettet. Zum einen gemeinsam mit I.S.A.R. Germany eine 40-Jährige, die leider später doch noch gestorben ist. Außerdem eine 88-Jährige, die sechs Tage in den Trümmern lag. Aber für uns ist es auch ein Einsatzerfolg, wenn wir annähernd sicher bestätigen können, dass es an einer bestimmten Stelle eben keine Lebenszeichen mehr gibt. Das ist zwar eine harte Nachricht, aber die gibt den Angehörigen Klarheit.“

Laut Statistik sinken die Überlebenschancen nach vier bis fünf Tagen drastisch, daher verkünden in der Regel die lokalen Behörden dann das Ende der „Search and Rescue“-Phase. „Vermutlich aus politischen Gründen geschah das hier nicht, aber für uns als internationales Team war dennoch Schluss“, erläutert der 59-Jährige. Vor der Abreise wurden die Zelte, Betten und Schlafsäcke des Camps an eine lokale Hilfsorganisation gespendet.

„Alle müssen mit der Belastung umgehen lernen“

Bei der Ankunft am Montagabend am Flughafen Köln/Bonn bereitete die türkische Community dem Team einen riesigen Empfang, es gab Blumen und Geschenke. „Das war der Wahnsinn“, so Benz. Im Hotel wartete das Einsatznachsorgeteam des THW mit vielen Gesprächsangeboten, denn niemand soll mit seinen belastenden Eindrücken alleine bleiben. „Daher hat sich im Einsatz auch unser ,Buddy-System‘ bewährt. Immer zwei Helfer werden aufgrund ihrer fachlichen Expertise gepaart und passen aufeinander auf. Dies setzt sich danach fort, also die sind alle weiter im Austausch und achten gegenseitig auf deutliche Wesensveränderungen.“ Denn sie wurden vor Ort mit viel Leid konfrontiert, hatten mit Toten zu tun und schlimme Bilder gesehen. „Solange man im Einsatz ist, funktioniert das, aber alle müssen mit der Belastung irgendwie umgehen lernen, denn weggesteckt hat das noch keiner. Schwierig sind jetzt die nächsten Tage“, weiß der erfahrene THWler, der auch auf seine eigene Verarbeitung achten muss: „Ich gucke halt gerade durch ein ganz anderes Fenster. Das rückt sich im Laufe der Zeit zwar alles wieder zurecht, aber das ist ein Prozess.“

Peter Benz (mit schwarzem Rucksack) wird bei der Ankunft am Flughafen Köln herzlich begrüßt. marcel kroker/THW
Peter Benz (mit schwarzem Rucksack) wird bei der Ankunft am Flughafen Köln herzlich begrüßt. marcel kroker/THW © THW/Marcel Kroker

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