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Hattersheim
Neues Buch zeigt Bilder von Armut und Ausgrenzung
- vonAndrea Rostschließen
Klaus Störch und Jürgen Malyssek haben ihr Standardwerk über Wohnungslosigkeit neu aufgelegt. Auch Betroffene kommen in dem Band zu Wort.
Vor elf Jahren ist das Buch „Wohnungslose Menschen. Ausgrenzung und Stigmatisierung“ erstmals erschienen. „Die Nachfrage war groß“, sagt Klaus Störch. Er ist einer der beiden Autoren und Leiter der Hattersheimer Caritas-Einrichtung für Wohnungslose, Haus Sankt Martin am Autoberg. Der Band habe sich zu einem Standardwerk in der Wohnungslosenhilfe in Deutschland entwickelt. „Wir hatten ein Alleinstellungsmerkmal, denn wir haben das Phänomen Obdachlosigkeit aus vielen Blickwinkeln beleuchtet, Studien zitiert und Praktiker:innen ebenso zu Wort kommen lassen wie Betroffene.“
Jetzt haben Klaus Störch und Jürgen Malyssek das Buch komplett überarbeitet und in einer zweiten Auflage auf den Markt gebracht. Die beiden Diplom-Pädagogen mit langjähriger Praxis haben alle Zahlen, Daten und Fakten aktualisiert und werfen einen kritischen Blick auf den Zustand der heutigen Gesellschaft.
Dabei hat sich herausgestellt: Die Lebenssituation wohnungsloser Menschen in Deutschland hat sich in den vergangenen zehn Jahren nicht grundlegend verbessert. Sie hat sich nur verändert. „Es gibt neue Bilder der Armut und Ausgrenzung“, sagt Klaus Störch. Die Zahl obdachloser Jugendlicher und junger Erwachsener sei gestiegen, und es seien mehr Migrantinnen und Migranten – speziell aus Osteuropa – dazugekommen, deren Familien sie, anders als früher, nicht mehr vor der Wohnungslosigkeit bewahrten.
Im Unterschied zur Erstauflage befassen sich Störch und Malyssek in ihrem neuen Buch auch mit der besonderen Situation wohnungsloser Frauen, die mittlerweile 25 Prozent der Obdachlosen in Deutschland ausmachen. „Die Beschleunigung unseres gesamten Lebens und die Existenzgefährdung durch den Verlust des Arbeitsplatzes haben Männer und Frauen auch in Bezug auf Obdachlosigkeit gleicher gemacht“, weiß Klaus Störch.
Eigentlich sollte der Band bereits im vergangenen Jahr erscheinen. Corona hat den Autoren aber einen Strich durch die Rechnung gemacht. Erst im Herbst 2020 wurde das Manuskript fertig. Damit bestand die Möglichkeit, aktuelle Entwicklungen im Zusammenhang mit der Pandemie einzubeziehen.
„Corona ist für uns in der täglichen Arbeit mit Obdachlosen eine große Herausforderung“, berichtet Klaus Störch. Weil Mindestabstand und Hygieneregeln eingehalten werden müssten, könnten die wohnungslosen Männer und Frauen im Haus Sankt Martin nur noch im Schichtbetrieb frühstücken. „Statt 30 Sitzplätzen haben wir jetzt nur maximal fünf Essensplätze gleichzeitig“, berichtet Störch.
Auch das Leben auf der Straße sei im Zuge der Pandemie härter geworden. Weil die großen Kaufhäuser im Lockdown geschlossen hätten, könnten Obdachlose die dortigen Toiletten nicht mehr nutzen. Das Flaschensammeln als Einnahmequelle entfalle. „Ohne Leben im öffentlichen Raum gibt es auch keine leeren Flaschen“, sagt Klaus Störch.
Die Krise habe die Schwächen des deutschen Hilfesystems deutlich werden lassen. An einigen Stellen hätten die Behörden immerhin bereits nachgebessert. So zahlten die Sozialämter einiger Städte und Landkreise mittlerweile das Taggeld an Wohnungslose für den gesamten Monat aus. „Die obdachlosen Menschen sind damit nicht mehr gezwungen umherzuziehen, um sich ihr Geld an unterschiedlichen Stellen abzuholen.“