Hennig will in der Stadt wachsen

Arzneimittelunternehmen ist 125 Jahre alt / Umsatzziel sind 55 Millionen Euro
Flörsheim - Seit Jahrzehnten sprudelt und plätschert ein auffälliges Wasserspiel in Verlängerung der Pfarrer-Münch-Straße. Der Berliner Brunnen ist vom Flörsheimer Mainufer nicht mehr wegzudenken. Doch wieso eigentlich erinnert eine Installation am Untermain an die ferne Hauptstadt? Der Hintergrund, der viele Flörsheimer überraschen dürfte, steht im Zusammenhang mit dem Jubiläum eines Pharmaunternehmens. Hennig Arzneimittel feierte gestern sein 125-jähriges Bestehen.
1898, demselben Jahr, in dem Graf Ferdinand von Zeppelin das Patent für sein berühmtes Luftschiff vorlegte, gründete Max E. Hennig sein Unternehmen in Berlin. Organextrakte und Homöopathie bildeten die anfänglichen Schwerpunkte der Produktion. Nachdem der Betrieb kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges vollständig zerstört wurde, baute Mitarbeiter Kurt Moschner, Großvater der heutigen Geschäftsführer, die Firma wieder auf.
Am Standort in Ostberlin drohte jedoch der nächste Rückschlag: Die Enteignung durch die russischen Besatzer stand bevor. Moschner gelang es, das komplette Unternehmen innerhalb von drei Jahren ins Rhein-Main-Gebiet zu verlagern. Neuer Firmenstandort ist seither die Flörsheimer Liebigstraße.
Auf der Suche nach Mitarbeitern
Warum die Entscheidung ausgerechnet auf den damals noch recht kleinen Ort fiel? Ein Hersteller von speziellen Kapselverschlüssen, die Hennig verwendete, sei in Flörsheim ansässig gewesen, erläuterte Dr. Kai Schleenhain, der das Unternehmen zusammen mit seinem Bruder Holger Schleenhain in vierter Generation führt. Wie Bürgermeister Bernd Blisch (CDU) gestern berichtete, stiftete ihr Großvater Kurt Moschner nach der Umsiedlung des Betriebs den Berliner Brunnen am Mainufer.
MEDIKAMENTE GEGEN GLEICHGEWICHTSSTÖRUNGEN
Wer unter Schwindel oder Schlafstörungen leidet, hat vielleicht schon einmal Produkte von Hennig Arzneimittel verschrieben bekommen. Das in Flörsheim ansässige Unternehmen ist mit Medikamenten gegen Gleichgewichtsstörungen groß geworden. Seit dem Orginalpräparat Arlevert gegen Schwindel, das 1982 auf den Markt gebracht wurde, hat Hennig in diesem Bereich die Marktführerschaft erlangt.
Frank Waldfahrer vom Universitätsklinikum Erlangen führte bei der Jubiläumsveranstaltung aus, dass die Störung des Gleichgwichtssinns ein erhöhtes Sterberisiko zur Folge hat, da es bei der Operation von Knochenbrüchen im hohen Alter zu Komplikationen kommen könne. Arlevert habe sich als sehr effektives Medikament erwiesen, das gleichzeitig auch das umsatzstärkste Produkt im Hennig-Sortiment sei.
Zu den neueren Medikamenten im Portfolio gehört das Schlafmittel Lunivia. Es ist das erste in Deutschland erhältliche Schlafmedikament mit dem Wirkstoff Eszopiclon und war außerdem das erste Schlafmittel mit einer Zulassung von bis zu sechs Monaten bei chronischen Schlafstörungen. Der Anteil der Erwerbstätigen, die in Hessen unter Schlafstörungen leiden, habe zwischen 2010 und 2017 um 65 Prozent zugenommen.
Auf dem Gebiet der nicht verschreibungspflichtigen Produkte setzt Hennig unter anderem auf Nährstoffangebote der Reihe Trivital, die sich aus Vitalpilzen, Pflanzenextrakten und Vitaminen zusammensetzen.
Ein weiteres Geschäftsfeld des Jubiläumsbetriebs ist die Auftragsherstellung für andere Unternehmen. Hennig Arzneimittel verfüge über modernste Produktionsanlagen und sei auf feste Arzneiformen spezialisiert - etwa Tabletten mit zeitgesteuerter Wirkstofffreisetzung, erklärte Dr. Peter von Hagel. „Wir sind kein Massenhersteller, sondern bieten unseren Kunden maßgeschneiderte und individuelle Lösungen an.“ sas
Aus Anlass des 125-jährigen Firmenjubiläums überreichte Verwaltungschef Blisch die Stadtplakette in Gold an die Unternehmensführung. Aufgrund der veränderlichen Gewerbesituation im Rhein-Main-Gebiet gebe es nicht viele solcher Traditionsunternehmen in der Stadt, sagte der Bürgermeister. „Wir fühlen uns verbunden mit der Rhein-Main-Region und möchten am Standort Flörsheim weiter wachsen, betonte Kai Schleenhain.
Derzeit seien etwa 280 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei Hennig beschäftigt, 65 davon deutschlandweit im eigenen Außendienst. Nach Angaben des Geschäftsführers macht das Unternehmen einen jährlichen Umsatz von rund 50 Millionen Euro, Tendenz steigend. Für das kommende Jahr rechnet Dr. Kai Schleenhain bereits mit 55 Millionen Umsatz.
Der international operierende Arzneimittelhersteller verfügt über Vertriebspartner in Mexiko, den arabischen Emiraten und Südkorea. Hennig Arzneimittel würde seinen Mitarbeiterstab gerne ausbauen, stößt dabei aber derzeit auf Grenzen infolge des Fachkräftemangels. „Wir suchen in allen Unternehmensbereichen Personal, so zum Beispiel in der Produktion und im Labor, aber auch in der Verwaltung“, erläuterte der Inhaber.
Als erstes von vier Standbeinen des Unternehmens beschrieb Kai Schleenhain die von Hennig selbst entwickelten Produkte - allen voran das Arzneimittel Arlevert, das gegen Gleichgewichtsstörungen hilft. Als weitere drei Standbeine dienen die Herstellung sowie der Vertrieb von Generika, die Produktion von frei verkäuflichen Medikamenten und die Herstellung im Auftrag für andere Unternehmen.
Der hessische Gesundheitsminister Kai Klose (Bündnis 90/Die Grünen) überbrachte per Video-Schalte Glückwünsche zum Flörsheimer Firmenjubiläum: „Unternehmen wie Ihres treiben den medizinischen, pharmakologischen und technischen Fortschritt mit ihren innovativen und hochwertigen Produkten voran“, so Klose.
