Die linke Szene rückt zusammen

Nach den beiden Brandanschlägen auf linke Projekte in Hanau bekräftigen die Aktivisten ihre Kritik an den Sicherheitsbehörden.
Zahlreiche Graffiti prägen die Fassaden des autonomen Kulturzentrums in der Hanauer Metzgerstraße. Die Sprüche an den Außen- und Innenwänden des besetzten Hauses – wie „Solidarität statt Spaltung“ oder „Gegen Umstrukturierung, Gentrifizierung und Vertreibungspolitik“ – sollen keine hohlen Phrasen sein, sondern Programm. So wie am Montag: Fünf Geflüchtete tragen sich in eine Liste ein und vertreiben sich dann die Wartezeit, indem sie Tischfußball spielen. Wie etwa 15 andere sind sie am Nachmittag zum Flüchtlingscafé gekommen. Hier werden sie kostenlos und umfassend beraten, zum Beispiel bei Problemen mit der Ausländerbehörde. Oft ist es ein Kampf.
Hinten in der Küche wird gekocht, es riecht nach Tomaten und Knoblauch. Beim Treffen des „BesetzerInnenrates“ am Abend gibt es Feldsalat, Nudeln und intensive politische Diskussionen. Einerseits ein Tag wie viele andere in der Metzgerstraße, andererseits ganz und gar nicht. Darauf deutet die Broschüre hin, die an der Pinnwand hängt. Titel: „Brandschutz für besetzte Häuser und überhaupt“. Daneben ein eng beschriebener Zettel mit Schutzmaßnahmen. „Scheiße“ sei das, was passiert ist, sagt einer der Betreiber, „aber wir haben gut reagiert und lassen uns auf keinen Fall einschüchtern“.
Anfang Dezember brannte auf dem Gelände des Wohnprojekts „Schwarze 79“, wo Leute aus der Metzgerstraße leben, ein Bauwagen aus. Kurz vor Weihnachten brach in einem Nebenraum des Kulturzentrums ein Feuer aus. Besucher löschten es, verfolgten den mutmaßlichen Brandstifter und hielten ihn fest, bis die Polizei kam.
Die Brände gehören offenbar zu einer Reihe von Anschlägen gegen linke Initiativen. Wie das Mietshäuser Syndikat Rhein-Main öffentlich machte, soll der in Hanau gefasste Verdächtige linke Projekte ausgeforscht und versucht haben, sie bei Behörden wegen Kleinigkeiten anzuschwärzen – auch die Hanauer Wohngruppe, weil sie die Adresse ihrer GmbH zu spät aktualisiert hatte.
Am 21. Dezember besuchte der Frankfurter den Kneipenabend in der Metzgerstraße. „Er war irgendwie merkwürdig. Machte Witze über das rechtsextreme Netzwerk bei der Frankfurter Polizei und erkundigte sich nach der Demo gegen die Brandserie, die am 22. stattfand“, erinnert sich ein Gast. Gegen 22.30 Uhr betrat der 46-Jährige den Werkzeugraum, kam kurz danach wieder raus und ging gleich zum Ausgang. Eine Frau fragte ihn, ob er das Klo suche, doch er reagierte nicht. „Wir schauten im Raum nach und löschten das Feuer. Wegen des Brandes in der ,Schwarzen 79‘ waren wir vorbereitet. Es war fast nur eine Frage der Zeit, bis es jemand in der Metzgerstraße versuchen würde“, sagt einer der Macher. Er steht vor dem Raum, der mit einer Kette verschlossen ist. Durch den Schlitz sind Regale, Farbeimer, Werkzeuge und viel Löschpulver zu sehen.
Einst war in der Metzgerstraße 8 der Nachtclub Moulin Rouge. Nach Einführung der Sperrstunde machte der Betreiber zu. Das Gebäude stand leer, verfiel und wurde schließlich 1986 von jungen Leuten besetzt. Sie schafften einen festen Platz für linke, alternative Kultur und politische Aktionen, kämpften zum Beispiel gegen die Hanauer Atombetriebe. Heute veranstalten sie etwa Konzerte und Lesungen, setzen sich aber auch für Geflüchtete, Erwerbslose und gegen die Gentrifizierung in Hanau ein.
„Die Metzgerstraße gehört in der Region zu den zentralen linksalternativen Orten. Wir stehen für Antifaschismus und Solidarität. Es ist auch ein Anschlag auf unsere Einstellung“, sagt ein Unterstützer. Die linke Szene rücke jetzt noch weiter zusammen, unterstütze sich gegenseitig.
Die Betreiber der Metzgerstraße schließen sich der Kritik des Mietshäuser Syndikats an den Sicherheitsbehörden an. Auch sie werfen Polizei und Staatsanwaltschaft schwere Versäumnisse bei den Ermittlungen vor. Ein Mann, der am 21. Dezember in der Metzgerstraße war, berichtet zum Beispiel: „Weil am Tatabend kein Brandermittler verfügbar war, kündigte die Polizei an, am 27. wiederzukommen. Als ich am 26. dort anrief, wurde der Termin abgesagt. Man hielt den Fall offensichtlich nicht für dringend.“ Dabei habe ein Polizist am 21. noch gesagt, das Feuer hätte auch wegen der Enge katastrophal enden können, wenn es etwas länger gebrannt hätte.
Die Staatsanwaltschaft weist die Vorwürfe zurück und begründet dies unter anderem damit, dass noch in der Nacht auf den 22. Dezember mögliche Beweismittel beim Tatverdächtigen sichergestellt wurden. Der erwähnte Termin zwischen den Jahren sei nicht bekannt. Die Behörde sieht bisher mangelnde Kooperationsbereitschaft in der Metzgerstraße und der „Schwarzen 79“; die Beteiligten hätten Ermittlern und Vernehmungen ablehnend gegenübergestanden und nur eine eingeschränkte Begehung des Tatorts zugelassen. Die Ermittlungen seien umfassend und intensiv, sagt Oberstaatsanwältin Gabriele Türmer, die für Fälle mit politischem Hintergrund zuständig ist.
Betroffene widersprechen. Sie hätten der Polizei nach den Bränden in der „Schwarzen 79“ und der Metzgerstraße Zutritt gewährt und alle relevanten Informationen gegeben - auch über den möglichen Zusammenhang zu den anderen Anschlägen. Sie kritisieren aber, dass bei der Polizei jetzt die Staatsschutzabteilung federführend sei. "Wir haben kein Interesse am Staatsschutz", sagt ein Bewohner. Er und andere befürchten rechte Strukturen unter Staatsschützern, die bei ihren Nachforschungen auch Informationen über die linke Szene sammeln könnten. Türmer weist auch dies zurück.
Für zusätzliches Misstrauen soll eine Ermittlerin gesorgt haben, welche sich auf dem Grundstück der „Schwarzen 79“ umsah, ohne vorher zu klingeln und sich anzumelden. Mitglieder der Wohngruppe und der Metzgerstraße haben der Staatsanwaltschaft mittlerweile über eine Anwältin weitere Informationen zukommen lassen.
Unabhängig von den Ermittlungen wollen die Hanauer zwar die Augen offen halten, sich aber nicht verunsichern lassen: „Wir sind wachsam, klar, aber gelassen“, sagt eine langjährige Aktivistin.
Aus der Hanauer Kommunalpolitik hat bislang einzig die Alternative Linke Liste Solidarität bekundet (ALL). „Der Brandanschlag gegen das Zentrum wurde augenscheinlich verübt, um seinen Kampf gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung, sein Eintreten für Humanität und Menschenrechte zu zerschlagen“, schreibt die ALL. Das Zentrum zeige „in seinem sozialen und kulturellen Engagement, dass eine andere Welt – auch in der Praxis – möglich ist.“