Terrorist von Hanau: Rassistisch und schizophren

Im Untersuchungsausschuss zum Anschlag von Hanau analysiert Gutachter Henning Saß die Psyche des Attentäters.
Der Attentäter von Hanau sei von Kindheit an durch „rechtskonservative“ Ansichten seines Vaters geprägt worden. Ab 2019 habe er sich radikalisiert und eine rechtsextreme, rassistische, gewaltbereite Haltung entwickelt. Gleichzeitig sei er an einer paranoiden Schizophrenie erkrankt und überzeugt gewesen, durch Geheimdienste verfolgt zu werden. Beides sei miteinander verwoben und habe zu den Morden am 19. Februar 2020 geführt.
Zu diesen zentralen Erkenntnissen kommt der psychiatrische Sachverständige Henning Saß, der im Auftrag des Generalbundesanwalts (GBA) ein Gutachten zum Täter erstellt und am Montag im Untersuchungsausschuss des Landtags dazu ausgesagt hat.
Bei dem Anschlag ermordete der Terrorist neun Menschen aus rassistischen Motiven. Dann tötete er seine Mutter und sich selbst. Der Untersuchungsausschuss soll vor allem die Frage klären, ob hessische Behörden vor, während oder nach der Tat Fehler gemacht haben.
In der elften Sitzung des Ausschusses standen unter anderem die Anzeigen, die R. Ende 2019 an den GBA und die Staatsanwaltschaft Hanau schickte, im Fokus. Die Schreiben enthielten nicht jene Sätze aus R.s „Manifest“, in denen er die Vernichtung bestimmter Nationalitäten propagiert, aber rechtsextreme Narrative wie die Bedrohung Deutschlands.
Saß hielt sich mit Kritik an den Behörden zurück, betonte, dass Staatsanwaltschaften viele solcher Briefe erhielten und Bewertungen rückblickend anders ausfielen. Gleichwohl sagte der Sachverständige, dass die Wahnstörung in den Anzeigen ganz klar zu erkennen sei und bei dieser Krankheit ein erhöhtes Risiko für Gefährlichkeit vorliege, zumal R. eine Waffenerlaubnis besaß. Der GBA und die Staatsanwaltschaft hatten Kritik zurückgewiesen: Es habe keine Hinweise auf strafbares Verhalten von R. und keine Handhabe gegeben.
Die Erkrankung des Attentäters zeigte sich laut Saß bereits 2001: Als BWL-Student in Bayreuth habe er sich in eine Kommilitonin verliebt, sei aber abgewiesen worden. Daraufhin habe er den Eltern der Frau unterstellt, gegen ihn zu arbeiten und ihn zu verfolgen, und deshalb Anzeige erstattet. Wenig später wurde er mit Verdacht auf eine wahnhafte Störung in die Psychiatrie eingeliefert und sollte zwangsuntergebracht werden, doch sein Vater ging erfolgreich dagegen vor. 2004 stellte R. bei der Hanauer Polizei erneut eine verschwörungstheoretische Strafanzeige, die ebenfalls bald zu den Akten gelegt wurde.
In der Zeit von 2005 bis 2019 habe sich R., so Saß, nach außen hin relativ unauffällig verhalten. Er habe verschiedene Anstellungen gehabt und sei ohnehin in der Lage gewesen, „normal“ zu wirken. Nach den Worten des Gutachters war er paranoid und zugleich „operativ leistungsfähig“. Die Taten habe er kaltblütig ausgeführt und lange sowie intensiv vorbereitet, beispielsweise in einem Studio in München professionell Propagandavideos aufgenommen und in Hanau mögliche Tatorte ausgespäht.
Ein „Alarmsignal“, das Hinweise auf seine Pläne gab, sei das einige Tage vor der Tat ins Netz gestellte Videomaterial gewesen, entgegnete Saß auf eine Frage von Heike Hofmann (SPD). In ihnen sei die Erkrankung, aber auch das „Hass- und Vernichtungspotenzial“ zu erkennen gewesen. Auch wenn R. ein Einzelgänger gewesen sei, habe die Radikalisierung nicht „im luftleeren Raum“ stattgefunden. Dazu beigetragen hätten auch öffentliche Diskurse, sagte Saß auf Nachfrage von Saadet Sönmez (Linke), die eine Kriminalisierung von Shishabars kritisierte (eine solche hatte zu den Tatorten gezählt). Das Netz habe auch eine Rolle gespielt; hier beschäftigte sich der Mörder etwa mit Verschwörungsideologien wie QAnon, erklärte Saß.