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Hanau: Tod von Attentäter-Mutter wirft weitere Fragen auf

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Von: Gregor Haschnik

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Die Kritik an der Stürmung des Täterhauses, die fünf Stunden nach dem Anschlag erfolgte, bekommt durch ein Gutachten zusätzliche Brisanz. Das Polizeipräsidium weist Vorwürfe zurück.

Am 19. Februar 2020 gibt der rassistische Attentäter von Hanau um 21.50 Uhr in der Innenstadt die ersten Schüsse ab. Nachdem er nach Kesselstadt gefahren ist, tötet er dort weiter. Gegen 22 Uhr schießt er in der Arena Bar & Café zum vorerst letzten Mal. Neun Menschen hat er ermordet. Spätestens kurz nach 22.30 Uhr steht sein Auto vor der Garage des nahegelegenen elterlichen Reihenhauses.

Um 3.03 Uhr sprengt das Frankfurter SEK die Tür und findet die Leiche des 43-Jährigen im Keller und jene der Mutter im Wohnzimmer unter einer Decke. Er soll erst die pflegebedürftige 72-Jährige erschossen haben, dann sich. Der Vater lebt. Er will geschlafen, nichts gemerkt haben.

Was geschah im Haus des Täters? Warum wurde es erst fünf Stunden nach ersten Hinweisen zu dessen Auto gestürmt? Zwei der vielen offenen Fragen. Zusätzliche Brisanz birgt ein Gutachten: Nach FR-Informationen kamen Rechtsmediziner zu dem Ergebnis, dass der Tod bei der Mutter wohl frühestens um 0.54 Uhr, spätestens um 6.30 Uhr eintrat. Nach einer temperaturbasierten Berechnung bei der 72-Jährigen wird die Wahrscheinlichkeit des Zeitintervalls auf 95,4 Prozent beziffert. Unklar ist jedoch der Einfluss einer durch das SEK oder schon vorher geöffneten Balkontür.

Die Berechnung beim Sohn war wegen einer Fußbodenheizung komplizierter. Er könnte kurz nach seiner Ankunft Zuhause gestorben sein, aber auch nach 3 Uhr. Die Mutter starb durch zwei Kopfschüsse, aus einer Waffe ohne Schalldämpfer, mit der sich ihr Sohn ebenfalls getötet habe. Wäre zumindest ihr Tod zu verhindern gewesen, wenn früher gestürmt worden wäre?

Dass so viel Zeit verging, hatten Angehörige der Opfer des rassistischen Anschlags bereits bemängelt. Einige Kritikpunkte: Der Attentäter und sein Vater hätten Zeit gehabt, zu kommunizieren, Beweismittel zu vernichten, das Haus zu verlassen oder gar den Anschlag fortzusetzen. Laut Zeug:innen dauerte es sehr lange, bis das Haus umstellt und der gesamte Bereich abgesperrt war. Das gelte auch für umliegende Straßen. Es sei nach 23.30 Uhr möglich gewesen, hinten am Haus vorbeizufahren. Eine Nachbarin gab zudem an, sie habe den Vater gegen 23.30 Uhr draußen gesehen.

Zuletzt teilte der Generalbundesanwalt mit, es gebe keinen Terrorverdacht gegen den Vater, der kürzlich wegen rassistischer Beleidigung verurteilt wurde. Er bestreitet alle Vorwürfe: So habe etwa ein weltweit aktiver Geheimdienst den Sohn getötet und die weiteren Morde begangen, behauptet er.

Eine ans hessische Innenministerium gestellte FR-Anfrage zum SEK-Einsatz hat das Polizeipräsidium Südosthessen beantwortet. Es weist die Kritik zurück: Die ersten Hinweise zum Täterauto seien „gegen 22.20 Uhr“ gewonnen und dann verifiziert worden. Zivilkräfte hätten das Auto „innerhalb kürzester Zeit“ gegen 22.50 Uhr am Wohnort festgestellt und bis zum Eintreffen weiterer Polizist:innen überwacht. Das Haus sei bis zur Ankunft der Spezialeinheiten und auch danach „gesichert“ worden. Erst habe man dort „eine kommunikative Lösung“ angestrebt, aber parallel die „Zugriffslösung“ vorbereitet. Nach Aufklärungsmaßnahmen des SEK und erfolglosen Kontaktversuchen sei um 3.03 Uhr der Zugriff erfolgt. Man habe mögliche Szenarien wie Sprengfallen oder einen Schusswechsel berücksichtigen müssen. Ein „schnelles und somit stark risikobehaftetes Vorgehen“ sei nicht geboten gewesen.

Die Maßnahmen im Umfeld seien ebenfalls lageabhängig gewesen und nicht mit anderen Fällen vergleichbar. Priorität habe die Abwehr von Gefahr, erst dann komme die Beweissicherung. Zum Todeszeitpunkt der Mutter äußert sich die Polizei mit Verweis auf die Ermittlungen des Generalbundesanwalts nicht.

Doch es bleiben Fragen, etwa: Wann war das Haus tatsächlich umstellt? Warum wurden nicht alle Nachbarhäuser evakuiert, wenn mit Sprengfallen gerechnet wurde? Warum will niemand die Schüsse in dem kleinen Haus gehört haben? Auch nicht das SEK – dessen Umstellungskräfte um 0.15 Uhr eingetroffen sein sollen. Der Untersuchungsausschuss des Landtags, der am 3. Dezember erstmals öffentlich tagt, wird diese und andere Fragen diskutieren.

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