Hanau: Rechtsextremer Attentäter war schon vor dem Anschlag auffällig
Der Rechtsextreme Tobias R. fiel nach FR-Informationen bereits vor den Morden in Hanau mit rassistischen und bewaffneten Drohungen auf.
- Im 19. Februar ermordete der Rechtsextreme Tobias R. neun Menschen bei einem rassistischen Anschlag in Hanau
- R. fiel aber schon vor dem Anschlag mit rassistischen und bewaffneten Drohungen auf
- Die Informationen werfen Fragen zu den Ermittlungen der Polizei und des Generalbundesanwalts auf
Hanau-Kesselstadt - Der rechtsextreme Attentäter Tobias R. ist schon vor dem Hanauer Anschlag am 19. Februar als Waffennarr aufgefallen, der gefährlich werden konnte. Nach FR-Informationen soll R. bereits 2000 während einer größeren privaten Feier in Hanau mit einem Gast, einem Schwarzen Menschen, gestritten und ihm schließlich mit einer Pistole gedroht haben. Teilnehmer sagen übereinstimmend, R. sei ein eigenartiger Typ gewesen, habe häufig eine Waffe dabeigehabt und damit geprahlt.
Tobias R. fiel schon vor Anschlag in Hanau mit rassistischen, bewaffneten Drohungen auf
Die Erinnerungen an das, was damals nach der Drohung, die nicht zur Eskalation führte, passierte, sind unterschiedlich: Zum Teil heißt es, die Polizei sei gerufen worden, habe sich aus nicht nachvollziehbaren Gründen aber nicht für den Streit und die Pistole interessiert, nur für den Cannabis-Konsum einiger Gäste. Die Polizisten hätten deshalb Namen notiert. Andere sagen, sie könnten sich zumindest nicht daran erinnern, dass die Polizei da war.
Gut zweieinhalb Monate nach den Anschlägen in Hanau, bei denen R. aus rassistischen Motiven neun Menschen ermordete und dann seine Mutter und sich erschossen haben soll, drängen sich zunehmend die Fragen auf, welche Warnsignale es gab und welche Versäumnisse.
Rassistischer Anschlag in Hanau: Versäumnisse bei den Ermittlungen?
Wichtig ist auch ein Vorfall am Juz in Kesselstadt im Mai 2018, nur wenige Meter vom Haus der Familie R. entfernt. Jugendliche haben gegenüber der FR jetzt detailliert beschrieben, wie sie das Geschehen erlebten: Demnach grillten sie, als ein etwa 1,75 bis 1,80 Meter großer, vermummter Mann aus dem Gebüsch kam und plötzlich vor ihnen stand. Er habe eine Weste mit Schutzplatten getragen, die Jugendlichen mit Migrationshintergrund beleidigt und mit einem Sturmgewehr auf sie gezielt. Sie sollten abhauen, sonst gebe es Tote. Die von den verängstigten Jugendlichen alarmierte Polizei traf den Mann nicht mehr an und habe dann kaum gesucht. Stattdessen sollen die Beamten gleich gefragt haben, wer angerufen habe und somit den Einsatz bezahlen müsse.
Die Polizei teilt mit, der Sachverhalt sei grundsätzlich bekannt, verweist aber auf den Generalbundesanwalt, der dazu keine Angaben macht. Irritierend ist, weshalb bei einer solchen Drohung offenbar nicht die Staatsanwaltschaft Hanau einbezogen wurde. Einer der anwesenden jungen Leute hat Bundeswehrerfahrung und kann bezeugen, dass das Gewehr definitiv echt war. Ob es sich bei dem Bewaffneten um R. handelte, ist unklar. Viele Indizien sprechen jedoch dafür, dass er das Juz im Visier hatte. So sprühte er zum Beispiel ganz in der Nähe die Adresse seiner Website auf den Boden.
Warnsignale vor dem Anschlag in Hanau
Fragen wirft auch der Umgang des Generalbundesanwalts mit der Strafanzeige auf, die er von R. am 8. November 2019 erhielt. Kritik daran weist die Behörde zurück: R. habe angegeben, durch eine Geheimorganisation ausspioniert zu werden. Dies „rechtfertigte nicht die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens“. Es hätten sich „keine Anhaltspunkte für strafbare Handlungen oder eine Gefährlichkeit“ ergeben, weshalb es nicht zulässig gewesen sei, andere Behörden zu informieren.
Die 19-seitige Anzeige enthält zwar nicht die Passagen aus dem „Manifest“, in denen von Vernichtung bestimmter Nationalitäten die Rede ist, aber deutliche Warnhinweise: So ist beispielsweise von der „finalen“ Anzeige die Rede, Ausländerkriminalität, einer Bedrohung Deutschlands, Kriegen und einem inneren Feind.
Tobias R. zeigte sich schon vor Anschlag in Hanau rassistisch und gewaltbereit
Bei der Staatsanwaltschaft Hanau ging eine deutlich längere Anzeige ein, die dem Generalbundesanwalt vorliegt. Die FR bekam weder Einsicht noch Auskunft zum genauen Inhalt. Viele weitere Fragen blieben unbeantwortet, „mit Blick auf die laufenden Ermittlungen“. Etwa jene, ob R. nach Eingang der Anzeigen überprüft wurde. Und was die Behörde zu Augenzeugenberichten sagt, wonach die Polizei etwa 15 Minuten verstreichen ließ, bevor sie am Tatort in Kesselstadt eingriff.
„Wir sind es der Polizei nicht wert, sonst hätte sie schon 2018 etwas gemacht“, sagt einer der Jugendlichen. Sie beklagen zudem – auch nach dem Anschlag – ständige Polizeikontrollen sowie Racial Profiling. Die Polizei weist dies klar zurück. Sie orientiere sich stets am Verhalten und habe etwa bei Verstößen gegen die Kontaktbeschränkung eingegriffen. Die jungen Leute widersprechen: Das Vorgehen sei völlig unangemessen: „Man will uns schikanieren und schlechtmachen.“
Von Gregor Haschnik
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