Anschlag in Hanau: Ein „querulatorischer Charakter“

Im Untersuchungsausschuss des Landtags berichtet Hanaus OB Claus Kaminsky (SPD) unter anderem von den Kontakten der Stadt mit dem Vater des Attentäters.
Der rassistische Terroranschlag von Hanau „erschüttert die allermeisten Bürger bis heute“, sagt Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD). Sie hätten sich so eine Tat „in unserer Stadt nicht wirklich vorstellen können“. Und weder er noch die Verwaltung hätten vorher Hinweise darauf gehabt, dass es dazu hätte kommen können.
Kaminsky ist am Montag als Zeuge im Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags geladen. Er soll dazu befragt werden, welche Informationen über den Attentäter und dessen Vater die Stadt Hanau vor den Morden hatte und ob sie sachgerecht damit umgegangen ist.
Zum Täter kann Kaminsky kaum Informationen liefern. Er habe den 43-Jährigen nie kennengelernt. Kurz nach dem Anschlag am 19. Februar 2020 habe er von Ordnungsamt und Polizei gehört, dass der Terrorist zuvor unauffällig gewesen sein soll. So habe er sich bei einer Kontrolle am Tatabend – er hatte sein Auto in der Nähe des ersten Tatortes auf einem Behindertenparkplatz abgestellt – gegenüber der Stadtpolizei einsichtig und höflich gezeigt. Ansonsten sei bei der Stadt lediglich noch ein Verfahren wegen zu schnellen Fahrens bekannt.
Für die Befragung zum Vater des Mörders wurde die Öffentlichkeit ausgeschlossen und als Grund der Schutz der Persönlichkeitsrechte von Hans-Gerd R. angeführt.
Der Anschlag
Am 19. Februar 2020 ermordete ein 43-Jähriger in Hanau aus rassistischen Motiven Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtovic, Vili Viorel Paun, Fatih Saraçoglu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov. Dann tötete er seine Mutter und anschließend sich selbst.
Der Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags soll klären, ob und welche Fehler hessische Behörden gemacht haben und welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind. gha
Wie die Frankfurter Rundschau erfuhr, berichtete Kaminsky dem Ausschuss von zahlreichen Kontakten der Stadt mit dem Vater, bei denen dieser negativ aufgefallen sei und seinen „querulatorischen Charakter“ offenbart habe. Im Jahr 2017 zum Beispiel äußerte er sich bei einem Termin im städtischen Bürgerservice rassistisch. Als R. einer Mitarbeiterin mit ghanaischen Wurzeln begegnete, fragte der Mann sinngemäß, ob er „hier in Afrika“ oder bei der Ausländerbehörde wäre. Der Vorfall war bereits vor mehr als einem Jahr durch Medienberichte bekanntgeworden.
Vor Kaminsky wurde eine Vorgesetzte der Beschäftigten im Untersuchungsausschuss vernommen. Die Beamtin schilderte unter anderem, wie sie Hans-Gerd R. in jener Situation schließlich selbst bedient habe, um ihre Kollegin zu schützen, und ihm Grenzen gesetzt habe.
Er sei wie ein penetranter Querulant aufgetreten. Die Stadt, so Kaminsky, habe aufgrund von R.s Äußerungen ein Hausverbot geprüft, dieses jedoch nicht verhängt, weil juristische Erwägungen dagegen gesprochen hätten.
Der Oberbürgermeister ging auch auf die exzessive Klagebereitschaft des Attentätervaters ein, der eine ganze Reihe von Anzeigen und Dienstaufsichtsbeschwerden erstattet hatte. Fast könnte man sagen, er habe dies wegen allem und jedem getan. Mal ging es um eine Bushaltestelle, mal um eine Hecke, die Nachbarn angeblich nicht richtig geschnitten hatten.
Kaminsky warf er beispielsweise „Wählertäuschung“ vor, weil sich der Sozialdemokrat bei der Kommunalwahl 2016 an die Spitze der SPD-Liste setzen ließ und sein Mandat im Parlament später wenig überraschend nicht annahm, da er sonst von seinem Amt hätte zurücktreten müssen.
Wegen dieses Vorwurfs und der Formulierung stand R. 2021 in einem Beleidigungsprozess vor Gericht, zudem hatte er Teilnehmer:innen einer Mahnwache – darunter Opferangehörige – rassistisch beleidigt. Kaminsky ließ durchblicken, dass er den Kernaussagen des damaligen psychiatrischen Gutachters Jürgen Wettig zustimmen würde. Dieser hatte Hans-Gerd R. eine „Kampfparanoia“ attestiert: Er fühle sich ständig benachteiligt, verfolgt und habe einen nicht behandelbaren Drang, dies zu bekämpfen. Jeder könne zum Feind werden.