Mordprozess gegen Sektenchefin Sylvia D.

Nach dem Tod eines kleinen Jungen vor mehr als 30 Jahren lässt das Landgericht Hanau die 2017 eingereichte Anklage der Staatsanwaltschaft zu und eröffnet den Prozess.
Von Gregor Haschnik
Weil sie 1988 den damals vierjährigen Jan H. ermordet haben soll, wird sich Sektenführerin Sylvia D. vor der ersten großen Strafkammer des Landgerichts Hanau verantworten müssen. Das teilte das Gericht am Montagnachmittag auf Anfrage der Frankfurter Rundschau mit. Die Schwurgerichtskammer um den Vorsitzenden Richter Peter Grasmück hat somit die im September 2017 von Oberstaatsanwalt Dominik Mies eingereichte Klage zugelassen. Nach derzeitigem Stand beginnt der Prozess am 22. Oktober. Wegen der Komplexität des Falls ist mit vielen Terminen und langer Prozessdauer zu rechnen.
Nach jahrelangen Ermittlungen ist die Staatsanwaltschaft überzeugt, dass die heute 71-Jährige den Jungen, dessen Mutter ihn in die Obhut der Hanauerin gegeben hatte, grausam und aus niedrigen Beweggründen tötete. Sie soll ihn in einem Sack bis über den Kopf eingeschnürt in ein Badezimmer zum Schlafen gelegt und seinem Schicksal überlassen haben, obwohl sie laut Staatsanwaltschaft „dessen Panik aufgrund seiner intensiven Schreie wahrgenommen hatte“. Nach Aussagen mehrerer Aussteiger hat D. den Vierjährigen, der in dem Sack starb, als vom Bösen besessen, als Schwein sowie als Reinkarnation Hitlers betrachtet.
Hanauer Sektenfall seit September 2014 bekannt
Die Frankfurter Rundschau hatte den Hanauer Sektenfall im September 2014 öffentlich gemacht und kontinuierlich darüber berichtet. Im März 2015 rollte die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren zu Jan H.s Tod wieder auf.
Nachdem das Landgericht jetzt über die Eröffnung des Hauptverfahrens informiert hatte, sagte Oberstaatsanwalt Mies: „Die Kammer ist unserer Auffassung gefolgt und hat einen hinreichenden Tatverdacht wegen Mordes bejaht.“ Das heißt, dass eine Verurteilung nach vorläufiger Beurteilung der Beweislage wahrscheinlich ist. Es gilt aber nach wie vor die Unschuldsvermutung.
Die Verteidigung wies die Vorwürfe gegen Sylvia D., für die es keine objektiven Anhaltspunkte gebe, in einer früheren Stellungnahme entschieden zurück. Ihr Rechtsanwalt sprach von einer Rufmordkampagne und verwies unter anderem darauf, dass die Ermittlungen 1988 eingestellt wurden, weil es keine Hinweise auf ein Fremdverschulden gegeben habe. Seine Mandantin wisse, dass sie sich nichts habe zuschulden kommen lassen, sie könne dem Ausgang des Verfahrens beruhigt entgegensehen, erklärte er.
Allerdings werfen die damaligen Ermittlungen zahlreiche Fragen auf. Dass bis 2015 keine Versuche unternommen wurden, diese zu beantworten, spricht für eklatantes Behördenversagen. Ein Notarzt hat den damaligen Angaben zufolge am 17. August 1988 um 15 Uhr den Tod des Kindes festgestellt. Jan sei an erbrochenem Haferschleim erstickt, hieß es. Eine Obduktion wurde jedoch nicht durchgeführt, obwohl ein Vierjähriger normalerweise kaum an seinem Erbrochenen ersticken kann – auch nicht im Schlaf, weil Essensreste durch einen Hustenreflex herausgeschleudert werden. Rechtsmediziner übten gegenüber der FR scharfe Kritik daran, dass nicht obduziert wurde.
Ein Informant berichtete dem Hanauer Jugendamt bereits Anfang der 90er Jahre von Missständen in der Glaubensgruppe sowie von Jans Tod und den Umständen. Doch die Behörde ging den Hinweisen nach FR-Informationen kaum nach – was das Amt bestreitet.
In der Anfang der 80er Jahre gegründeten Sekte, die etwa 15 Anhänger hat, ist D. die zentrale Figur. Sie gibt vor, von Gott Befehle zu erhalten, die die anderen Mitglieder befolgen müssen. Das geht aus an Eides statt versicherten Angaben von Aussteigern und internen Unterlagen hervor.