Einst schmuddelig, heute begehrt

Verdreckte graue Fassaden mit Schäden im Putz sind Vergangenheit: Die Deutsche Wohnen hat nach mehreren Jahren die Sanierung der denkmalgeschützten Dunlop-Siedlung abgeschlossen. Knapp zwölf Millionen Euro hat die Modernisierung mit insgesamt 412 Wohnungen gekostet.
Die bedrohlich wirkenden, verdreckten grauen Fassaden mit den vielen Schäden im Putz sind Vergangenheit. Ein Altweißanstrich und gesäuberte, stierblutrote Klinkersockel bestimmen nun das Bild der nördlichen Freigerichtstraße. Vergessen sind ebenso die verschlissenen Briefkasten- und Klingelanlagen an den Hauseingängen. Auch sind die Antennenschüsseln verschwunden, die die Außenwände der lang gezogenen Gebäuderiegel wie eine von Windpocken geplagte Haut überzogen. Die 1928 einst für Dunlop-Arbeiter gebaute Siedlung ist 2006 von der Deutschen Wohnen übernommen worden. Knapp zwölf Millionen Euro hat die Modernisierung der Häuser mit insgesamt 412 Wohnungen gekostet.
„Die Miete ist jetzt deutlich höher, aber alles ist schön gemacht“, sagt der Mann hinter dem mit Backwaren gefüllten Tresen im „Snack Shop“. Zehn Jahre betreibt er den Eckladen, der auch mit ein paar Tischen und Stühlen für den Sofortverzehr des Gekauften ausgestattet ist. Dunlop-Arbeiter zieht es morgens oft herein, um sich mit Brötchen oder süßen Stückchen für die Frühstückspause auszustatten. Das Werkstor liegt vis-à-vis.
Der Verkäufer möchte in der Zeitung lieber namenlos bleiben. Er zählt aber, dass er seit wenigen Jahren selbst in der Dunlop-Siedlung wohnt, um so näher seinem „Snack Shop“ zu sein. Die fünfköpfige Familie teilt sich eine Drei-Zimmerwohnung, rund 60 Quadratmeter. „Es geht, die Kinder sind noch klein“, sagt der Mann im gelassenen Ton und fügt an, dass er wohl in ein paar Jahren für seine Familie eine größere Bleibe suchen müsse.
1928 ist mit dem Bau der Dunlop-Siedlung begonnen worden. Der Hersteller von Auto- und Fahrradpneus hatte zuvor sein neues Werk weit vor den damaligen Toren der Stadt in Betrieb genommen. Die Reifenherstellung aus Kautschuk und Ruß ist auch heute noch keine geruchlose An gelegenheit. Rund zehn Jahr zuvor war an der südlichen Freigerichtstraße eine Gartenstadt-Siedlung für Arbeiter entstanden. Die Architektur folgt dem bieder wirkenden Heimat- und Landhausstil. Die Mieter bekamen zur Selbstversorgung zudem ein Stück Garten zum Beackern und für die Kleintierhaltung.
Die Dunlop-Siedlung auf der gegenüberliegenden Straßenseite setzte einen städtebaulichen Gegenentwurf mit metropolen Einschlag. Fassade und Bauhöhe sind jedoch von dem nicht mehr bekannten Architekten so gewählt worden, dass der Bestand von dem Baustil optisch nicht erdrückt wird. Die viergeschossigen Gebäuderiegel für das neue Wohnen sollten den Ansprüchen des Industriearbeiters der Moderne genügen. Der wollte keine Krume mehr für die Eigenversorgung bewirtschaften, sondern sich erholen nach Feierabend. Die für heutige Verhältnisse riesigen begrünten Innenhöfe der Dunlop-Siedlung dokumentieren dies. Sie bieten aber auch eine soziale Distanz zu den anderen Bauten der Siedlung und sollten damit trotz verdichteten Zusammenlebens zu einer entspannten Wohnsituation beitragen.
Die Eigenversorgung hatte sich zur Nahversorgung gewandelt. Wegen der peripheren Lage entstand mit dem Dunlop-Quartier eine Einkaufsinfrastruktur mit Ladengeschäften in den Gebäuderiegeln. Sogar Raum für das gesellschaftliche Leben wurde geschaffen, mit einer Kneipe.
Als Folie für das Konzept diente das soziale Neue Bauen, das in den 1920er und 30er Jahren vor allem von dem Architekten und Städteplaner Bruno Taut geprägt worden ist, der etwa in Berlin mit der Hufeisensiedlung die Theorie des modernen, menschenwürdigen Wohnen verwirklichte. Der Komplex in Hufeisenform und üppig begrüntem Hof trägt den Titel als Unesco-Weltkulturerbe und findet sich ebenfalls im Besitz der Deutschen Wohnen.
Lebenszentrum der Kleinwohnungen war die Küche
Die Zwei- und Drei-Zimmerwohnungen mit Größen von durchschnittlichen 46 und 59 Quadratmetern galten seinerzeit für Paare und Familien als geräumig. Viel Überlegung ist in die Optimierung des Wohnungsgrundrisses und in die Lebensweise der Bewohner gesteckt worden. Trotz aller Wohnökonomie gab es auch ein bisschen damaligen Luxus, etwa Badezimmer. Der Flur ist aufs Mindeste begrenzt worden, mit der Folge, dass das zweite Schlafzimmer oft nur über das erste und dieses übers Wohnzimmer erreicht werden kann. Lebenszentrum dieser Kleinwohnungen war die Küche. Die besitzt fast die Größe des Wohnzimmers, somit passen Esstisch und vier Stühle problemlos hinein. Selbst nach heutigen Maßstäben fast pure räumliche Großzügigkeit.
Den Schnitt der Wohnungen wissen auch heutige Mieter zu schätzen, wie ein 52-Jähriger, der seit gut fünf Jahren im Dachgeschoss wohnt. „Ich habe den Mietvertrag noch mit der Nassauischen Heimstätten abgeschlossen“, erzählt der Mann, der seinen Namen für sich behält. Mit der Sanierung erhielt er ein neues Bad. Außerdem besitzt die Zwei-Zimmerwohnung nun Heizkörper und keine Kohleöfen mehr. Das bedauert er wiederum ein wenig. „Mit den Öfen konnte ich viel billiger heizen, weil ich zudem mit einem Ofen die ganze Wohnung warm halten konnte“, sagt der Mann. Jetzt hadert er mit einer Heizkostennachzahlung in Höhe von 180 Euro, die vor ihm auf dem Tisch liegt.
Bis der 52-Jährige und seine Nachbarn in den Genuss des neuen Wohnkomforts gelangten, waren Qualen durchzustehen. „Über Monate dröhnte im ganzen Haus der Baulärm.“ Als zeitweiligen Ersatz stellt man ihm ein Camping-WC ins Bad, das ansonsten unbrauchbar war. Den Duschcontainer im Hof wollte er nicht betreten. „Ich habe mir für die Zeit eine Dauerkarte fürs Hallenbad gekauft“, sagt der Mann.
Nach seiner Vorstellung ist die Modernisierung halbherzig erfolgt. Immerhin sei die Miete kräftig erhöht worden. Der 52-Jährige zahlt für seine 46 Quadratmeter nun etwas mehr als 500 Euro Kaltmiete. „Man hätte auch gleich alle Wohnungen renovieren und den Bodenbelag austauschen können“, sagt er und zeigt auf die feuerfeste Fläche, wo der Ofen im Zimmer stand. Auch beim Trittschall und der Hellhörigkeit der Wohnungen herrsche immer noch der Standard der 20er Jahr, so der Mieter. Frisch angelegt sind zwar die Treppenhauswände, der graue Lack auf den Stufen ist aber bis auf den Stein abgewetzt.
Zuvor ist in die Dunlop-Siedlung kaum investiert worden. Die Altbesitzerin, die Nassauische Heimstätten, ließ Anfang der 90er Jahre die Einfachverglasung in den Fenster gegen doppelte tauschen. Ansonsten sah es mit der Bauunterhaltung offenbar ziemlich schlecht aus. Feuchte Wände, Schimmelbildung wurden beklagt. Ein Mangel, den man auch nach der Sanierung durch die Deutsche Wohnen von Mietern weiterhin hört. Aber auch an anderen Stellen des denkmalgeschützten Ensembles herrschten beklagenswerte Zustände. Eines Tages tauchten bei den Mietern Handwerker auf, um die Balkontüren zu verrammeln, damit niemand mehr die zum Teil baufälligen Balkone mehr betreten kann. Mieter berichteten der Frankfurter Rundschau davon 2006, als der Verkauf der Siedlung anstand.
Innenhöfe mit wohlgepflegtem Grün
Anläufe der Nassauischen Heimstätten, die Wohnungen zeitgemäß instand zu setzen, soll es immer wieder gebenen haben, hieß es damals. Offenbar fehlte der Gesellschaft das Geld. 2006 ist der Verkauf von der NH mit der Modernisierung von hunderten Wohnung in Kassel begründet worden. Eine Option lautete, die Mieter der Dunlop-Siedlung könnten ihre Wohnung kaufen. 500 Euro pro Quadratmeter waren im Gespräch.
Mittlerweile stehen vor den Fassaden zum Innenhof neue Balkone, die zudem ganz im Geiste von Taut farbig sind. Der hatte zu seiner Schaffenszeit in Magdeburg die „bunte Stadt“ propagiert. Die Innenhöfe zeigen sich mit wohlgepflegtem Grün und mit jeweils einem Spielplatz. Gestelle, zwischen denen Wäscheleinen gespannt sind, sind geblieben.
„Die Dunlop-Siedlung ist nach den Auflagen des Denkmalschutzes saniert worden“, sagt Julian Pinnig, Referent für Öffentlichkeitsarbeit bei der Deutschen Wohnen. Der abgeschlurfte Lack auf den Treppenstufen habe eben nicht erneuert werden dürfen. Auch müssen die Bewohner weiterhin gut zu Fuß sein, vor allem wenn sie in den oberen Geschossen wohnen. Denkmalschutz und Barrierefrei wurden auch bei der Sanierung der Dunlop-Siedlung kein Paar. Am Willen der Besitzerin soll es hingegen nicht gemangelt haben. Was möglich war, sei auch gemacht worden, sagt Pinnig und bestätigt, das sein Unternehmen viele geschützte ehemalige Arbeitersiedlungen im Portfolio und somit auch Erfahrung in der Modernisierung von historischen Bestand habe.
Nachmieter für vier der 412 Wohnungen gesucht
Pinnig spricht von einer nunmehr hohen Nachfrage für die Dunlop-Siedlung. Der Leerstand sei sehr gering. Für vier der 412 Wohnungen werden derzeit Nachmieter gesucht, zeigen die Aushänge am Mieterbüro vor Ort an. Nach Tradition der Siedlung sollen auch die Ladenlokale wieder genutzt werden. Pinnig zufolge ist es noch unklar, ob es wieder eine Gaststätte geben wird.
Der Mann aus dem „Snack Shop“ hätte nichts dagegen, wenn die Deutsche Wohnen auf diese Tradition verzichtet. Das „Freigericht“ hat ihm gereicht. Jetzt sei hier alles ordentlicher, sagt er und fügt mit zufriedener Miene an: „Wir haben sogar einen Hausmeister, der die Siedlung sauber und instand hält.“