Hanau: Anfangsverdacht wegen Schwarzarbeit

Im Fall Lehrhöfer Park in Hanau geht die Staatsanwaltschaft einem Anfangsverdacht wegen Schwarzarbeit nach. Zwei Bauarbeiter fordern vor dem Arbeitsgericht ihre Löhne ein.
Ich habe Todesangst“. Mit diesem Satz beendet Bojan S. (Name geändert) seinen Bericht darüber, was er 2016 auf einer Baustelle im Lehrhöfer Park in Hanau-Wolfgang erlebt hat. Der bulgarische Bauarbeiter hat lange mit sich gerungen, ob er seine Geschichte erzählen soll. Er hat Angst, dass er, seine Familie, seine Freunde auch in der bulgarischen Heimat nicht sicher sind vor denen, die ihn und andere Männer aus Osteuropa auf deutschen Baustellen ausbeuten und bedrohen. Jetzt redet er. Bojan S. weiß, dass er nicht allein ist mit seiner Geschichte.
Bereits Anfang November 2018 hatte die Frankfurter Rundschau zusammen mit Ivan Ivanov vom Gewerkschaftsprojekt Faire Mobilität öffentlich gemacht, was sich auf einigen Baustellen des ehemaligen US-Kasernengeländes „Old Argonner“ im Lehrhöfer Park offenbar abspielte: Mehrere bulgarische Männer, die dort 2018 beschäftigt waren, sollen nicht oder kaum bezahlt worden sein, arbeiteten wohl ohne Arbeitsverträge und oft auch ohne Gewerbescheine. Wenn sie ihr Geld forderten, sollen sie von Georgi D. bedroht worden sein. D. soll die Arbeitsmittel verteilt und Arbeiten angewiesen haben, bezeichnet sich selbst aber nur als „Vermittler“ und arbeitet nach eigener Aussage für Sascha G. Informanten nennen G. immer wieder als einen der Hintermänner und Strippenzieher in einem wenig transparenten Konstrukt aus Firmen rund um das Generalunternehmen GSP Projektbau GmbH & Co. KG aus Berg.
GSP saniert sechs der alten Kasernen im Lehrhöfer Park seit 2016, zuerst im Auftrag des Investors Dolphin Trust aus Langenhagen, später im Auftrag der SIM Süddeutsche Immobilien Verwaltungs GmbH, Berlin. Weder Georgi D. noch GSP oder SIM haben auf aktuelle Anfragen der FR reagiert. Georgi D. hatte im Oktober 2018 am Telefon abgestritten, die Bauarbeiter im Lehrhöfer Park zu kennen.
Mit Bojan S. haben sich jetzt weitere Bulgaren zu Wort gemeldet, die auf den Baustellen von GSP im Lehrhöfer Park gearbeitet haben. Mit einem Unterschied: Sie sollen bereits 2016 und 2017 dort beschäftigt gewesen sein, zu einer Zeit also, als noch die Dolphin Trust GmbH Investor und deren Tochtergesellschaft Eigentümerin der sechs Gebäude war. Erst Ende 2017 hatte Dolphin Trust diese Tochtergesellschaft und damit die sechs alten Kasernen im Lehrhöfer Park an das Berliner Unternehmen SIM verkauft.
Mit diesem Verkauf hatte das Unternehmen Dolphin Trust im Oktober 2018 begründet, warum es keine Fragen zu den bulgarischen Arbeitern beantworten könne. Aber auch auf neue Fragen zu den Jahren 2016 und 2017 reagiert das Unternehmen, als habe es keine Ahnung, was der Generalunternehmer auf den eigenen Baustellen getrieben hat: Man wisse nichts von unbezahlten Arbeitern, die ohne Arbeitsvertrag oder Gewerbeschein beschäftigt waren. Die Verantwortung trage der Generalunternehmer. Wenn das so sei, wie die FR recherchiert hat, sei dies „nicht akzeptabel und entspricht in keiner Weise unseren Gepflogenheiten“, schreibt Geschäftsführer Helmut Freitag.
Doch jetzt könnte in den Fall Lehrhöfer Park auch juristisch Bewegung kommen: Nachdem bereits im Oktober des letzten Jahres erste Hinweise beim Hauptzollamt Hanau eingegangen waren, dass auf den Baustellen von GSP etwas nicht stimmt, und die FR Anfang November berichtet hatte, haben Zöllner der in Hanau ansässigen Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Hauptzollamts Darmstadt in den vergangenen Tagen zweimal mehrere Baustellen und Firmen im Lehrhöfer Park kontrolliert.
Festgestellt habe man drei Moldawier ohne Aufenthaltstitel und zehn Ukrainer mit polnischen Visa, hieß es vom Zoll Darmstadt. Alles weitere, ob die kontrollierten Firmen Arbeitsverträge vorweisen können, gesetzliche Mindestlöhne zahlen, Löhne überweisen, ob Arbeitnehmer ordentlich gemeldet und Sozialabgaben und Steuern entrichten werden, das müsse in den nächsten Wochen mithilfe von Unterlagen geklärt werden, die die Firmen vorzeigen müssten. Ob auch GSP unter den Firmen ist, war nicht zu erfahren. Derzeit soll der Generalunternehmer dort noch mindestens zwei Gebäude in der Schäferheide sanieren.
Die Staatsanwaltschaft Hanau bestätigt, dass sie nach Medienberichten im Fall des Bauunternehmens GSP seit kurzem einen Anfangsverdacht wegen Schwarzarbeit prüfe. Auch deswegen sei im Lehrhöfer Park kontrolliert worden. Zwischen 2016 und 2018 will die Finanzkontrolle Schwarzarbeit dort zweimal geprüft haben. Ob sich der Anfangsverdacht diesmal erhärten lässt, werde man erst in einigen Wochen sagen können.
Auch im zivilrechtlichen Bereich wehren sich zwei der betroffenen Bulgaren gegen ihre Ausbeutung und fordern Lohn für bis zu vier Monate Arbeit im Sommer 2018 auf den Baustellen von GSP. Die beiden Männer, die längst zurück in Bulgarien sind, ziehen mit Hilfe des Frankfurter Anwalts Dimo Vladinski vor das Arbeitsgericht in Offenbach. Den Kontakt hatte die Beratungsstelle Faire Mobilität vermittelt.
In Offenbach sind am kommenden Montag, 28. Januar, 12 Uhr, beide Gütetermine angesetzt. Rechtsanwalt Vladinski hatte Zahlungsklage gegen den Generalunternehmer GSP, dessen Komplementärin SIM und ein erst 2018 im Lehrhöfer Park eingestiegenes Subunternehmen, die Bebas Bauservice GmbH mit Sitz in Berlin, eingereicht. In letzterer sieht Vladinski trotz fehlender Arbeitsverträge den eigentlichen Arbeitgeber der Bulgaren. Bebas soll einen Offenbacher Anwalt mit ihrer Vertretung beauftragt haben. Die Komplementärin SIM, die das Generalunternehmen GSP verwaltet, und GSP selbst sind per Gesetz als Gesamtschuldner haftbar für den Nettolohn. Es geht um insgesamt 16 200 Euro Bruttolohn.
Sollte der am Ende gezahlt werden, haben nicht nur die beiden Bulgaren Gerechtigkeit erfahren. Viele weitere Kollegen, die bereits Kontakt mit der Beratungsstelle Faire Mobilität aufgenommen haben, könnten motiviert werden, nachzuziehen und ausstehenden Lohn einfordern.
Und auch der Staat würde profitieren: Der Arbeitgeber müsste die entgangenen Sozialabgaben und Steuern auf den Bruttolohn nachzahlen.
2013: Der Investor Dolphin Trust (Langenhagen) kauft sechs der denkmalgeschützten Kasernengebäude im Lehrhöfer Park in Hanau und fasst sie in der Projektgesellschaft Dolphin Capital 184. Projekt GmbH & Co. KG zusammen. Nach und nach werden die einzelnen Wohnungen an die neuen Eigentümer verkauft. Die genießen wegen des Denkmalschutzes Steuervorteile.
Anfang 2016: Die Firma GSP Projektbau GmbH (Berg) wird gegründet und erhält als Generalunternehmen den Auftrag, die sechs Kasernen der Dolphin-Trust-Projektgesellschaft in der Bertha-von-Suttner-Straße, in der Lehrhöfer Heide und in der Schäferheide zu sanieren. GSP hat keinen Geschäftsführer und wird von der SIM Süddeutsche Immobilien Verwaltungs-GmbH (Berlin) verwaltet, deren Geschäftsführer wiederum allein 2018 zweimal wechselten. Die SIM ist Komplementärin von GSP.
Ende 2017: SIM kauft die Dolphin Capital 184. Projekt GmbH & Co. KG. Damit verwaltet sie als Komplementärin sowohl die Firma, der die sechs Gebäude gehören, als auch das Generalunternehmen GSP, das diese Gebäude saniert. Außerdem kauft SIM von Dolphin Trust Ende 2017 noch sechs weitere Projektgesellschaften.
Anfang 2018: Die Berliner Bebas Bauservice GmbH, erst wenige Monate zuvor gegründet, steigt auf den Baustellen im Lehrhöfer Park als Subunternehmer ein. Auswirkungen hat das nur für einen anderen Subunternehmer, Stanislav K. darf jetzt nicht mehr mit GSP direkt abrechnen. Stattdessen, sagt er, bekam er sein Geld nun von Bebas. Statt 20 Euro verdiente er nur noch zwölf Euro pro Stunde.
2016 bis 2018: Wie viele Bulgaren in dieser Zeit auf den Baustellen beschäftigt waren, ist nicht bekannt. Jedoch melden sich immer mehr zu Wort. Sie alle behaupten, kaum oder gar nicht bezahlt worden zu sein. Für manche wurden Gewerbescheine in Calbe an der Saale angemeldet, andere arbeiteten ohne Schein oder Arbeitsvertrag. In den Jahren 2016 und 2017 wurden sie noch offiziell von einer bulgarischen Firma (Name ist der Redaktion bekannt) rekrutiert, die Ende 2017 ihre Steuerfreistellung für Deutschland verloren haben soll. Trotzdem sollen laut Informanten deren Geschäftsführer Vasilev P. und der Vermittler Georgi D. bis heute Bulgaren nach Hanau vermitteln und mitkassieren.
Das Firmennetz: Um Georgi D., der auf Fragen nicht reagiert, weitere der FR namentlich bekannte Männer und die Firmen SIM und GSP, die ebenfalls nicht auf Fragen antworten, zieht sich ein Netz weiterer Firmen im Raum Magdeburg. Manche Transporter vor den GSP-Baustellen im Lehrhöfer Park tragen die Kennzeichen des Salzlandkreises, wo auch die Gewerbescheine der Bulgaren gemeldet werden. bil