Terroranschlag 19. Februar in Hanau: Enttäuschte Familien beim Untersuchungsausschuss

Im Hanau-Untersuchungsausschuss wird eine Oberstaatsanwältin vernommen, die in der Tatnacht zuständig war. Doch vorerst gibt es keine Aufklärung zu den Obduktionen der Opfer.
Emis Gürbüz ist außer sich. „Wer ist diese Frau? Wie kann sie das machen?“, ruft Gürbüz, deren Sohn Sedat beim rassistischen Terroranschlag am 19. Februar 2020 in Hanau ermordet wurde. Aus ihrer Sicht habe „diese Frau“ kein Recht gehabt, zu entscheiden, dass ihr Sohn obduziert werden müsse. „Dieses Kind gehört nur mir!“ Es sei doch völlig klar gewesen, dass Sedat erschossen wurde. Die Obduktion fühle sich an wie ein zweiter Mord, ruft Emis Gürbüz.
Die Frau, über die die Hinterbliebene aus Hanau sich aufregt, sitzt im Plenarsaal des hessischen Landtages. Der Untersuchungsausschuss des Parlaments zu den Hintergründen des Anschlags, bei dem neun Menschen aus rassistischen Gründen ermordet worden waren, befragt Gabriele T. an diesem Freitag als Zeugin. Die 64 Jahre alte Oberstaatsanwältin im Ruhestand hatte in der Tatnacht die Ermittlungen geleitet.
Eine zentrale Zeugin
Für die Angehörigen ist T. eine zentrale Zeugin, weil sie angeordnet hatte, dass die Anschlagsopfer zu obduzieren seien – obwohl die Familien der Getöteten dem nicht zugestimmt hatten. Dieser Punkt treibt die Hinterbliebenen bis heute um. Doch sie werden erneut enttäuscht: Zur Frage der Obduktionen könne sie nicht Stellung nehmen, sagt Gabriele T. ganz am Anfang ihrer Befragung. In diesem Punkt verweigere sie die Aussage, weil immer noch ein Dienstaufsichtsverfahren gegen sie laufe.
Ansonsten sagt die Beamtin umfangreich aus. Sie berichtet, wie sie in der Tatnacht in die Hanauer Polizeidienststelle gerufen wurde. In der Wache sei es zugegangen „wie im Bienenschwarm“, sagt die 64-Jährige. Viele Polizist:innen hätten unter hohem Druck, aber sehr professionell gearbeitet. Dass sie es mit einem rassistischen Anschlag zu tun haben könnte, sei ihr schnell klar gewesen, sagt T., weil alle Opfer „offensichtlich einen Migrationshintergrund hatten“. Sie habe auch gewusst, dass der Generalbundesanwalt wohl die Ermittlungen übernehmen werde, was sie unter Druck gesetzt habe: „Es ist eine hoch angespannte Situation.“
„Ein völlig wirres Weltbild“
Als die Identität des Täters und sein Wohnhaus ermittelt worden sei, habe man schnell eine „relativ große Sicherheit“ gehabt, den Richtigen zu haben, berichtet T. Später sei klar geworden, dass der 43-Jährige seine Mutter und sich selbst getötet hatte. Noch in der Nacht habe sie ein Youtube-Video des Täters gesehen, in dem dieser Rassismus und „ein völlig wirres Weltbild“ verbreitet habe, sagt T. Und auch eine seitenlange Strafanzeige gegen eine „unbekannte geheimdienstliche Organisation“ von 2019, in der der Täter angegeben hatte, seit früher Kindheit überwacht zu werden, habe sie in der Nacht das erste Mal gesehen.
Dieser Strafanzeige sei ein Kollege damals nicht weiter nachgegangen und habe keine Ermittlungen eingeleitet, sagt T. „Das war auch lege artis, muss ich sagen.“ Es habe keine Anhaltspunkte für eine Straftat oder eine besondere Gefährdung gegeben, die Staatsanwaltschaft erhalte fast täglich wirre Strafanzeigen. Und: „Natürlich brauchen wir mehr Leute.“ Zur Zeit des Anschlags sei man aber sehr für rechte Anschläge sensibilisiert gewesen und habe auch regelmäßig die Waffenbehörden informiert, falls dazu Anlass bestanden habe, betont die Beamtin.
Verdacht gegen die Hells Angels
Nach ihr sagt Polizeidirektor Dirk F. aus, der in der Anschlagsnacht den Einsatz am Täterhaus leitete, ab etwa 1 Uhr. Die ersten Schüsse hatte der Attentäter kurz vor 22 Uhr abgefeuert. F. sagt, die Polizei sei erst von einem Verbrechen in der organisierten Kriminalität ausgegangen, weil mehrere Rocker der Hells Angels in der Nähe des Hauses aufgetaucht seien. Gegen zwei, halb drei hätten Belege für eine rechtsextrem motivierte Tat vorgelegen.
Kritik an der Strategie und daran, dass das Attentäter-Haus erst nach vier Stunden gestürmt wurde, weist der leitende Beamte zurück. Alle hätten gut und konzentriert gehandelt. Die Einsatzkräfte hätten zunächst länger versucht, Kontakt mit dem Täter aufzunehmen, etwa per Durchsage. Und sie hätten mit allem rechnen müssen, auch mit Sprengfallen, und deshalb Zeit zur Vorbereitung gebraucht. (Gregor Haschnik und Hanning Voigts)