Schwarz-grüne Regierungsarbeit in Hessen: Erfolgsbilanz oder bloß peinlich?

Der Hessische Ministerpräsident und sein Stellvertreter loben die eigene Arbeit über den grünen Klee. Die Kritik von Gewerkschaften und der Opposition im Hessischen Landtag folgt auf den Fuß.
Frankfurt - Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) und sein Stellvertreter Tarek Al-Wazir (Grüne) haben am Montag in Frankfurt eine – wie erwartet – positive Bilanz ihrer gemeinsamen Regierungsarbeit gezogen. Die Gegenrede von Opposition und Gewerkschaften folgte auf dem Fuß.
Rhein und Al-Wazir hatten für ihre Bilanz fünf Monate vor der Landtagswahl am 8. Oktober einen geschichtsträchtigen Ort gewählt: den Eisenhower-Saal des Poelzig-Baus, einst I.G.-Farben-Haus und heute Sitz der Goethe-Universität Frankfurt. Hier wurde nach Ende des Zweiten Weltkriegs von den Alliierten die politische Ausgestaltung Deutschlands verhandelt, die Einführung der D-Mark beschlossen und Wiesbaden zur neuen Landeshauptstadt Hessens ausgerufen, wie Rhein kurz referierte. Und auch das Datum, der 8. Mai, ist symbolträchtig. Es war der 78. Jahrestag der Kapitulation Hitler-Deutschlands in dem von ihm angezettelten Krieg.
Lob der gemeinsamen Regierungsarbeit in Frankfurt: Symbolträchtig sind Ort und Zeit
Symbolträchtig erschien auch das Auftreten der beiden Hauptprotagonisten. Rhein und Al-Wazir begegneten einander mit ausgesuchter Höflichkeit, ließen den jeweils anderen ausreden, spielten sich fast freundschaftlich die Bälle, also die Erfolgsmeldungen ihrer Regierungsarbeit, hin und her. Und ließen insgesamt den Eindruck entstehen, als passe kein Blatt Papier zwischen sie. Und das, obwohl – oder vielleicht gerade weil – beide am 8. Oktober als Spitzenkandidaten ihrer Parteien zur Landtagswahl und damit als Konkurrenten um das Amt des Hessischen Ministerpräsidenten antreten. Da mutete es nicht mehr nur rein zufällig an, dass sie nahezu zwillingsgleich gekleidet – dunkelblauer Anzug, schwarze Schuhe, weißes Hemd, offener Hemdkragen – vor die geladene Medienöffentlichkeit traten.
Inhaltlich hatten sie gleich eine ganze Reihe von Rekorden zu melden. So viele Erwerbstätige (3,5 Millionen) wie nie zuvor in Hessen. So wenige Straftaten wie nie inklusive Rekordinvestitionen in die innere Sicherheit (2,6 Milliarden Euro). Eine Höchstzahl an Lehrkräften (64 000) und einen Rekordbildungsetat von mehr als fünf Milliarden Euro. So viel Geld für den öffentlichen Nahverkehr wie nie, eine Rekordzahl neuer Stellen in der Justiz, Rekordsummen auch für Sportförderung, Ehrenamt und Katastrophenschutz.
Rhein und Al-Wazir ziehen Bilanz der gemeinsamen Regierungsarbeit: 40 Minuten lang Glanzleistungen
Ziemlich exakt 40 Minuten währte die Aufzählung der Glanzleistungen der schwarz-grünen Landesregierung, die in Hessen seit dem Jahr 2014 die Geschicke des Landes maßgeblich bestimmt. All das und noch viel mehr sei gelungen, obwohl Corona und der Überfall Russlands auf die Ukraine und die damit einhergehende Energiekrise Regierungshandeln alles andere als leicht gemacht hätten, wie Al-Wazir betonte. „Es war eine wirklich gute Zusammenarbeit, über die ich sehr froh bin“, bilanzierte Rhein. Sowohl er als auch Al-Wazir schlossen eine weitere Zusammenarbeit nach der Landtagswahl ausdrücklich nicht aus. Und versprachen, auch angesichts des nahenden Wahltermins „nicht aufeinander loszugehen“. Dies nütze weder dem Land noch den Beteiligten.
Eine „peinliche Selbstbeweihräucherung“ sei das gewesen, konstatierte die Linke. Rhein habe bisher vor allem daran gearbeitet, sich als Landesvater zu positionieren, Al-Wazir trete als „der wahre Konservative“ auf, erklärten Elisabeth Kula und Jan Schalauske, Vorsitzende der Linke-Landtagsfraktion. Gleichzeitig nehme im reichen Hessen die Armut zu, explodierten Mieten und Wohnungsnot und gewähre die Bildungspolitik keine Chancengleichheit.
Kritik der Opposition in Hessen: Schwarz-Grün „ist die Puste ausgegangen“
Schwarz-Grün sei „längst die Puste ausgegangen“, sagte FDP-Landtagsfraktionschef René Rock. Rhein und Al-Wazir erschienen wie auf einer „Abschiedstournee“. Bei aller demonstrativ vorgetragenen Harmonie sei offenbar, dass die Koalition bröckele und Grüne in Pressemitteilungen etwa zur Vorratsdatenspeicherung oder dem Schutz von Frauen vor Gewalt offen gegen die CDU opponierten. Hessen sei in vielerlei Hinsicht „allenfalls noch Mittelmaß“. Die Landesregierung baue weder Straßen und Schienen noch ermögliche sie Wohnungsbau in nennenswerter Zahl, gegen den Lehrkräftemangel habe Schwarz-Grün keinen Plan, und die Treibhausgas-Emissionen stagnierten.
Für die SPD sagte deren Fraktionsvorsitzender Günter Rudolph, in zehn Jahren schwarz-grüner Regierung hätten sich Probleme wie ein „marodes Schulsystem, bröckelnde Brücken und Straßen voller Schlaglöcher, ein überlastetes System des öffentlichen Personenverkehrs, Stillstand bei der Energiewende und bei der Digitalisierung“ angesammelt. Die Regierungspartner seien müde, würden nur durch den Willen zum Machterhalt zusammengehalten.
GEW-Landesvorsitzender kritisiert Wohnungsnot und Bildungsmisere in Hessen
Die Landesregierung habe kaum etwas unternommen, um die Probleme im Bildungsbereich zu lösen. Überall seien der Fachkräftemangel groß und der Personalschlüssel schlecht, kritisierte der GEW-Landesvorsitzende Thilo Hartmann. Das gelte für die Kitas ebenso wie für Schulen, Ganztagsbetreuung und Hochschulen. Viele Menschen seien vom wirtschaftlichen Erfolg in Hessen abgekoppelt, die Ungleichheit wachse, so Michael Rudolph, Vorsitzender des DGB-Bezirks Hessen-Thüringen. Und es gebe einen erheblichen Investitionsstau bei der öffentlichen Infrastruktur. Ein grundlegender Politikwechsel sei deshalb nötig. (Peter Hanack)