Rechtsextremismus: Böhmermann sieht „Tätergruppe“ hinter „NSU 2.0“

Der Fernsehmoderator Jan Böhmermann wurde von „NSU 2.0“ bedroht und sieht Parallelen zu anderen Schreiben. Er vermisst Strukturermittlungen gegen solche Umtriebe, sagt er als Zeuge vor dem Frankfurter Landgericht. Auch Moderatorin Maybrit Illner schildert Bedrohungen.
Die Drohschreiben des „NSU 2.0“ sind nach Überzeugung des Fernsehmoderators Jan Böhmermann nicht die Tat eines Einzeltäters gewesen. Vielmehr stehe eine „Tätergruppe“ dahinter, die personenbezogene Daten im Internet sammele, zeigt sich der 41-jährige Journalist überzeugt.
Er hatte selbst solche neonazistischen, rassistischen Drohmails erhalten und wurde daher am Montag als Zeuge vor dem Landgericht Frankfurt gehört. Dort muss sich der Angeklagte Alexander M. verantworten, dem mehr als 100 einschlägige Drohschreiben an Politiker:innen, Jurist:innen und Journalist:innen vorgeworfen werden.
Ähnliche Schreiben seit 2016
Besonders brisant ist, dass bei vier bedrohten Personen persönliche Daten genutzt wurden, die kurz vorher unbefugt von Rechnern der Polizei abgefragt worden waren. Böhmermann zeigte sich verwundert, dass nur ein einzelner Angeklagter vor Gericht sitzt und kein „Strukturverfahren“ eingeleitet worden ist. Der Journalist berichtete, dass er und Kolleg:innen seit 2016 ähnliche Schreiben erhalten hätten, etwa mit dem Absender „Staatsstreichorchester“.
Er erinnerte daran, dass im gleichen Zeitraum Datensammlungen zu prominenten Persönlichkeiten im Internet angelegt worden seien, etwa von der rechtsextremen Gruppierung „Reconquista Germanica“. Daraus könnten sich verschiedene Täter bedient haben, um Drohungen zu versenden.
„Einer aus der Bubble“
Böhmermann hatte dieses Phänomen bereits 2018 in seiner Fernsehsendung geschildert und zeitweise mit einer Gegenaktion namens „Reconquista Internet“ geantwortet. Derartiges Vorgehen der rechten Szene sei auf „völlige Ahnungslosigkeit von Strafverfolgungsbehörden“ geprallt, bedauerte der Fernsehmoderator. Nach den „NSU 2.0“-Schreiben habe er sofort gewusst: „Das ist einer aus der Bubble, der das Spiel weiterspielt.“ Einzelne könnten sich „mit kleinem Aufwand“ dieser Daten bedienen und damit große öffentliche Wirkung erzielen.
Für die Behörden sei es offenbar ausreichend, „eine Person zu haben“ und damit einen Ermittlungserfolg erzielen zu können. Das sei aus seiner Sicht unbefriedigend – „aber das muss die Polizei selber wissen“, befand Böhmermann. Der angeklagte Alexander M. reagierte zustimmend auf die Ausführungen. „Genauso ist es gewesen“, rief er ins Mikrofon.
Im Unterschied zu anderen Betroffenen der „NSU 2.0“-Drohungen zeigte sich Böhmermann nicht beunruhigt über die Drohmails, die zum Teil als „Todesurteil“ gegen ihn formuliert waren. Die Sicherheitsvorkehrungen habe er nicht erhöht. Sie seien „grundsätzlich hoch, im digitalen und im analogen Bereich“.
Auch Maybrit Illner bedroht
Auch die TV-Moderatorin Maybrit Illner wurde vom „NSU 2.0“ bedroht. Der Absender wählte allerdings eine Sammeladresse beim ZDF, sodass die Journalistin erst auf Umwegen davon erfuhr, wie sie am Montag im Prozess schilderte. Die Drohung habe zwar „eine andere Qualität“ als ähnliche Schreiben gehabt, da der Absender zumindest oberflächliche Kenntnis über die Arbeit des ZDF und der hessischen Polizei offenbart habe. Illner ging gleichwohl nicht davon aus, dass sie einer „besonderen persönlichen Bedrohung“ ausgesetzt sei.
Die Nebenklage hegt den Verdacht, dass Alexander M. nicht für alle „NSU 2.0“-Schreiben verantwortlich ist. Sie geht davon aus, dass ein Polizist des 1. Frankfurter Reviers das erste Drohfax an die Frankfurter Anwältin Seda Basay-Yildiz im August 2018 versandt hat, dessen rechtsextreme Gesinnung aus Chats hervorgeht, die auf seinem Mobiltelefon gefunden wurden.
Staatsanwaltschaft weist Vorwurf zurück
Die Staatsanwaltschaft reagierte am Montag auf den damit einhergehenden Verdacht, sie habe nur einseitig ermittelt. Dieser Vorwurf werde „mit aller Entschiedenheit zurückgewiesen“, sagte Staatsanwältin Patricia Neudeck. Sie verwies auf das Ermittlungsverfahren, das gegen den Polizeibeamten geführt werde. Das könne aber im Verfahren gegen Alexander M. „keine Berücksichtigung finden“.