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Neuer Präsident des Hessischen Verfassungsschutzes sagt: „Das Wichtigste ist die Bekämpfung des Rechtsextremismus “

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Von: Hanning Voigts

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Bernd Neumann (56) ist seit Februar Präsident des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV). Als gelernter Polizist war Neumann bereits im hessischen Landeskriminalamt, im Innenministerium und im Landespolizeipräsidium tätig.
Bernd Neumann (56) ist seit Februar Präsident des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV). Als gelernter Polizist war Neumann bereits im hessischen Landeskriminalamt, im Innenministerium und im Landespolizeipräsidium tätig. © Michael Schick

Der Hessische Präsident des Verfassungsschutzes im Interview mit Hanning Voigts

Bernd Neumann hat aktuell viel zu tun. Seit Ende Februar ist der 56-Jährige als Nachfolger von Robert Schäfer Präsident des hessischen Landesamts für Verfassungsschutz (LfV). Dort arbeitet Neumann schon seit 2015, zuletzt als Vizepräsident. Trotzdem muss er sich gerade in viele Dinge neu einfinden. Beim Gespräch ist Neumann freundlich, aber auch äußerst konzentriert.

Herr Neumann, wie Ihr Amtsvorgänger Robert Schäfer sind Sie ausgebildeter Polizist, Sie kommen aber als Präsident nicht neu in die Behörde. Was ist für Sie die größte Veränderung?

Sicher nicht die Inhalte, da ändert sich für mich persönlich nichts. Was sich verändert, ist die Aufmerksamkeit. Die Aufmerksamkeit von außen, durch die Medien, aber auch von innen. Sie werden von den Mitarbeitenden plötzlich mit anderen Augen angesehen. Und man spürt eine andere Form von Anforderung, weil man schnell das Gefühl entwickelt, verantwortlich zu sein.

Sie übernehmen das Amt in turbulenten Zeiten. Es herrscht Krieg in Europa, es gab zuletzt rechte Terroranschläge in Hessen. Was ist für Sie die wichtigste Aufgabe in den nächsten Jahren?

Das absolut Wichtigste war, ist und bleibt die Bekämpfung des Rechtsextremismus. Da sehen wir die größte Herausforderung für unsere Behörde. Wir stellen eine zunehmende Agitation fest, ein starkes Selbstbewusstsein der rechtsextremistischen Szene und eine zunehmende Gewaltorientierung. Die Herausforderung für das LfV ist, dass wir auch in allen anderen Tätigkeitsfeldern stark gefordert sind. Wir müssen in allen Bereichen sehr wachsam sein.

Das LfV hat sich in den letzten Jahren stark verändert, wurde vergrößert, stärker auf Professionalität getrimmt. Welche weiteren Reformen sind nötig?

Wir müssen den Neuausrichtungsprozess fortführen im Hinblick auf unsere Analysefähigkeiten und die operative Ausrichtung. Im Bereich Rechtsextremismus gelingt uns das sehr gut, im Bereich Salafismus und Dschihadismus waren wir schon früher stark. Jetzt müssen wir das auch in allen anderen Bereichen vorantreiben. Der Reformprozess endet nie, wir müssen uns den Bedingungen ja immer neu anpassen.

Das LfV ist in den letzten Jahren von zwei Untersuchungsausschüssen zum NSU und zum Mord an Walter Lübcke durchleuchtet worden. Dabei sind analytische Defizite und massive Fehler zutage gefördert worden. Wie blicken Sie auf das LfV der 90er- und 2000er-Jahre?

Der Blick zurück ist schwierig. Sie müssen in der damaligen Zeit dabei gewesen sein, um beurteilen zu können, warum die eine oder andere Weichenstellung erfolgt ist. Man muss auch die früheren Arbeitsweisen bedenken, heute haben wir allein technisch ganz andere Möglichkeiten. Entscheidend ist für mich der Blick nach vorne. Wir wollen das, was wir an Reformen eingeleitet haben, fruchtbar machen. Zentral für uns ist, das Vertrauen in unsere Behörde wieder aufzubauen. Denn wir haben einen einzigartigen Auftrag, und unsere Mitarbeitenden setzen sich sieben Tage die Woche dafür ein. Dabei passieren auch mal Fehler, aber wir versuchen, sie möglichst klein zu halten und daraus zu lernen.

Wie wollen Sie das ramponierte Image Ihrer Behörde verbessern? Braucht es dazu Erfolge wie etwa Ihren Beitrag zu der bundesweiten Razzia im Reichsbürgermilieu Ende vergangenen Jahres?

Vertrauen kann man nicht einfordern, Vertrauen muss man sich erarbeiten. Dazu gehört auch, dass wir wenn möglich mitteilen, was wir leisten. Die Crux eines Nachrichtendienstes ist, dass wir das oft nicht können. Aber bei den Durchsuchungen in der Reichsbürgerszene war unser Beitrag nicht unerheblich.

Können Sie konkreter werden?

Ich kann zu einem laufenden Verfahren nicht viel sagen. Wir haben bei einer Information sehr schnell erkannt, dass die nicht nur Hessen angeht. Lassen Sie es mich so formulieren: Wer hätte sich vor diesen Durchsuchungen vorstellen können, dass es gezielte Umsturzpläne in einem derart organisierten Ausmaß gibt? Wenn Sie eine Information haben und entsprechend bewerten, dann ernten Sie nicht nur fragende Blicke, sondern auch Kopfschütteln. Wir haben da mitunter sehr viel Überzeugungsarbeit leisten müssen, über Monate.

Die rechte Szene ist stark im Umbruch. Viele Akteure wie die freien Kameradschaften sind verschwunden, im Rahmen der Corona-Proteste hat sich dafür das Reichsbürgermilieu vergrößert. Die Szene ist diffuser geworden. Wie groß ist die Gefahr?

Die Gefahr durch den Rechtsextremismus ist ungebrochen hoch. Wir stellen eine zunehmende Gewaltorientierung fest, wir erkennen, dass die Szene heterogen ist und dezentral agiert. Manchmal ist es schwierig zu bewerten, wann es wirklich gefährlich wird. Das erfordert sehr viele Ressourcen und einen langen Atem.

Wir haben es zunehmend mit radikalisierten Einzeltätern ohne Anbindung an eine Szene zu tun, wie beim rassistischen Attentäter von Hanau oder beim Bombenbastler Marvin E. aus Spangenberg. Wie kann man solche Gewalttäter rechtzeitig stoppen?

Wir versuchen, die Agitation in den sozialen Netzwerken engmaschig im Blick zu haben. Das ist aufwendig. Das Internet fungiert als Radikalisierungsbeschleuniger und rechtsextreme Gruppierungen nutzen das aus. Sie wissen, dass sie in den sozialen Netzwerken eine große Reichweite haben und Meinungen beeinflussen können. Da besteht die Gefahr, dass der eine oder andere nicht nur radikalisiert, sondern auch zu Gewalt motiviert wird. Da sind wir bei einem bestimmten Personenkreis sehr genau dran.

Mit „Personenkreis“ meinen Sie sogenannte Gefährder, denen man schwere Straftaten zutraut?

Gefährder ist ein polizeilicher Begriff, aber wir haben eine fokussierte Beobachtung einzelner Rechtsextremisten eingeführt. Da beobachten wir etwa 20 bis 30 Personen in Hessen ganz genau.

Das Thema Salafismus ist etwas aus dem Blick geraten. Trotzdem ist die Szene auch nach dem Scheitern des „Islamischen Staates“ (IS) weiter aktiv, oder?

Die Ruhe ist in der Tat trügerisch. Der territoriale Niedergang des IS hat nicht dazu geführt, dass die Agitation der Szene nachgelassen hat. Sie war lange von Durchsuchungen und Festnahmen betroffen und hat sich zurückgezogen, auch wegen der Corona-Pandemie. Aktuell stellen wir aber fest, dass auch diese Szene wieder zunehmend in der Öffentlichkeit agiert, etwa in Form von Missionierungsaktivitäten, die zwar nicht gewaltorientiert sind, aber den Nährboden des Dschihadismus bilden.

Es gibt auch einige reisende Akteure, salafistische „Influencer“, die in den sozialen Netzwerken sehr aktiv sind.

Zuletzt wurde viel über die „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ gesprochen, eine neue Kategorie, die für Coronaleugner, Reichsbürger und Verschwörungstheoretiker gebildet wurde. Teile dieser Szene sind wegen des Ukraine-Kriegs aktuell wieder mit „Friedensdemos“ unterwegs. Wie schätzen Sie das ein?

Diese Szene der „Delegitimierer“ ist vor dem Hintergrund der Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie entstanden. Derzeit stellen wir fest, dass Teile dieser Szene neue Themen suchen, um weiter agitieren zu können, und sich eine Mischszene mit Personen aus dem Reichsbürgerklientel und dem Rechtsextremismus bildet.

Zusammenfassend gefragt: Wie gefährdet ist die Demokratie in Deutschland und Hessen?

Ich glaube, unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung ist sehr gefestigt. Aber wir müssen wachsam sein. Deshalb gibt es den Verfassungsschutz und der ist in der aktuellen Zeit wichtiger denn je als Frühwarnsystem. Wir müssen genau hinschauen, warnen und auch unsere Schlüsse ziehen.

Interview: Hanning Voigts

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