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GEW-Experte kritisiert: Neue Regeln fürs Abitur „sind nur Scheinobjektivierungen“

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Von: Peter Hanack

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Abitur-Prüfung an einem Gymnasium in Wiesbaden: Deutsch und Mathe sind in Hessen Pflicht.
Abitur-Prüfung an einem Gymnasium in Wiesbaden: Deutsch und Mathe sind in Hessen Pflicht. © Jörg Halisch/Imago

Stefan Edelmann erklärt, warum die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Hessen mehr statt weniger Flexibilität beim Abitur fordert. Und was wirklich nötig ist.

Herr Edelmann, ist es gerecht, wenn Schüler und Schülerinnen in Thüringen im Schnitt eine Abiturnote von 2,04 erreichen, in Schleswig-Holstein 2,42 und in Hessen eine 2,23?

Die Frage nach der Gerechtigkeit ist sehr komplex. Darauf gibt es keine einfache Antwort. Wir können jedenfalls feststellen, dass die Durchschnittsnoten unterschiedlich sind, mehr nicht. Warum das so ist, ist schwer zu sagen.

Man möchte auf Bundesländerebene die Noten vergleichbarer machen. Dazu haben die Kultusminister und -ministerinnen eine Reihe von Beschlüssen gefasst. Was haben Sie dagegen einzuwenden?

Ob durch die nun gefassten Beschlüsse zur Zahl der verbindlichen Grund- und Leistungskurse oder der Klausuren tatsächlich die Vergleichbarkeit erhöht wird, ist doch sehr zweifelhaft. Das ändert nichts an den sehr unterschiedlichen Ausgangsbedingungen vor Ort. Es wird an der Normsetzung geschraubt, das sind nur Scheinobjektivierungen.

Halten Sie Vergleichbarkeit für nötig?

Natürlich muss diese angestrebt werden. Da gehört aber viel mehr dazu, als zu vergleichen, wer welche Prüfungen oder Kurse wie abgeschlossen hat.

Neue Regeln für die gymnasiale Oberstufe

Die Kultusministerkonferenz der Länder hat eine Angleichung der strukturellen Rahmenbedingungen für die gymnasiale Oberstufe in den 16 Bundesländern beschlossen.

Die Regeln gelten von 2027 an und damit für die Abiturjahrgänge ab 2030.

Wesentliche Änderungen sind:

Leistungskurse kann es zwei oder drei geben, bisher waren bis zu vier möglich. In Hessen sind es schon heute zwei.

Grundkurse: 40 sind verpflichtend zu belegen, davon müssen 36 in die Abiturwertung eingebracht werden, bislang sind es 32 bis 40. In Hessen müssen vom nächsten Schuljahr an 36 statt bisher 34 Kurse in der Qualifikationsphase belegt werden.

Klausuren sollen ein bis zwei je Halbjahr in Leistungskursen und in einigen Grundkursen geschrieben werden. Das gilt in Hessen schon heute.

Gesellschaftswissenschaftliche Fächer müssen sechs Halbjahre (statt vier) belegt werden, das gilt in Hessen bereits.

Naturwissenschaftliche Fächer müssen in den Grundkursen dreistündig unterrichtet werden. Das ist in Hessen bereits der Fall. pgh

Sie fordern als GEW mit einigen anderen Akteuren in einer gerade veröffentlichten sogenannten Potsdamer Erklärung mehr Flexibilität in der Wahl der Oberstufenfächer. Wie passt das mit dem Anspruch zusammen, dass es gerecht zugehen soll, etwa bei der Vergabe von Studienplätzen, wo ja oft ein Numerus clausus gilt?

Die reine Setzung, dass alle ähnlich viele Kurse belegen und Klausuren schreiben müssen, erreicht auch keine Vergleichbarkeit. Die Potsdamer Erklärung ist eine Vision, die die Gedanken darauf lenken soll, wie das Abitur auch gestaltet werden könnte, nämlich mit viel mehr Möglichkeiten, seinen Begabungen und Interessen zu folgen, als dies jetzt in den Oberstufen möglich ist.

Soll es möglich sein, sich ganz auf Deutsch, Englisch und Spanisch zu konzentrieren, wenn man eben sprachbegabt ist, und Mathe und Physik dafür sein zu lassen?

Das könnte das heißen. Wir haben hier in Hessen vor einiger Zeit noch viel mehr Möglichkeiten zur Wahl der Leistungskurse gehabt. Heute können Sie nicht mehr Deutsch und Geschichte oder Deutsch und das Fach Politik und Wirtschaft wählen, obwohl das doch sinnvoll wäre. Und wer mit Sprachen nichts anfangen kann, muss da trotzdem mitunter mit einem Riesenaufwand arbeiten, um wenigstens einen Punkt zu bekommen, damit der Kurs als belegt zählt. Obwohl er oder sie in Mathe und Physik ein Talent ist. Das ist doch eine grauenhafte Verschwendung von Lebens- und Arbeitszeit. Das kann man doch niemandem erklären.

Interview: Peter Hanack

Stefan Edelmann (50) leitet das Referat Schule bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).
Stefan Edelmann (50) leitet das Referat Schule bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). © Privat

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