Migrationsforscherin: „Man kann auch ohne Deutschkenntnisse einen Job finden“

Die Migrationsforscherin Yuliya Kosyakova spricht im FR-Interview über gut gebildete Ukrainer:innen, die vor dem Krieg geflüchtet sind, Integrationskurse in Hessen und warum viele in Metropolen wie Frankfurt wollen
Migration und Integration, schwärmt Yuliya Kosyakova, sei das spannendste Forschungsfeld, das sie sich aktuell vorstellen könne. Wer sind die Menschen, die zu uns kommen? Warum kommen sie? Wie können wir sie integrieren? Mit ihrer Arbeit will sie Antworten auf diese Fragen geben. Sie selbst ist einst aus der Ukraine geflüchtet. Vor ein paar Wochen mussten ihre Schwester und deren Sohn ihre Heimat verlassen – und sind nun auch in Deutschland angekommen.
Frau Kosyakova, Sie sind vor 20 Jahren aus der Ukraine nach Deutschland gekommen. Was sind Ihre Erfahrungen?
Ich bin damals als jüdischer Kontingentflüchtling zusammen mit meiner Mutter und meinem Stiefvater hierhergekommen. 20 Jahre war ich alt und dachte, ich stehe bereits mitten in meinem Leben. Und dann habe ich den Integrationsprozess quasi von null an mitgemacht.
Was heißt das?
Nun, ich hatte überhaupt keine Deutschkenntnisse. Ich sprach Ukrainisch, Russisch und Englisch, aber eben kein Deutsch. In der Ukraine hatte ich bereits drei Jahre Wirtschaftswissenschaften studiert. Aber dann ging es für mich erst einmal darum, in der Sprache voranzukommen. Wenn man sich nicht verständigen kann, wenn man überhaupt nichts versteht, ist es sehr belastend, auch psychisch. Ich habe selbst erleben müssen, dass man von irgendwelchen Betrunkenen angeschrien und als „Scheiß-Ausländer“ beschimpft wird. Man kann dann nicht antworten, das kann sehr schwer sein.
Was muss geschehen, dass die Menschen, die jetzt vor dem Krieg in der Ukraine nach Deutschland fliehen, hier Fuß fassen können?
Ganz wichtig ist, dass möglichst alle einen Integrationskurs besuchen können, zumindest die, die längere Zeit hier bleiben wollen. Aber auch jene, die wieder zurückgehen, brauchen hier eine sinnvolle Beschäftigung und sollten Deutsch lernen. Was sie hier lernen, können sie schließlich auch zurück mit in die Ukraine nehmen. Wir haben seit den Jahren 2015/2016, als auch viele Flüchtlinge kamen, dafür eine sehr gute Struktur aufgebaut, die man jetzt unbedingt nutzen sollte.
Wie lange dauert es, bis jemand, der ohne Deutschkenntnisse hier ankommt, in den Arbeitsmarkt integriert werden kann?
Das hängt sehr davon ab, in welches Segment man einsteigen möchte. Man kann auch ohne Deutschkenntnisse einen Job finden, oft zum Beispiel über den Kontakt mit Landsleuten, oder man kann in einem (co-)ethnischen Unternehmertum wie russischen oder ukrainischen Handelsgeschäften arbeiten oder in einer Putzkolonne. Das sind aber eher die einfachen Tätigkeiten, die oft in Frage kommen für diejenigen, die sofort arbeiten und Geld verdienen möchten. Wer eine qualifiziertere Arbeit anstrebt, die vielleicht auch dem eigenen Bildungsstand besser entspricht, braucht auf jeden Fall Sprachkenntnisse. Man kann davon ausgehen, dass nach dem Besuch eines Integrationskurses nach sechs Monaten ein guter Stand erreicht ist. Wer besonders hochqualifizierte Jobs anstrebt, braucht dann sicher noch weitere Sprachkurse, um vorbereitet zu sein.
Wie gut ausgebildet sind die Menschen, die hierher kommen?
Es gibt dazu noch keine belastbaren Daten. Es gibt lediglich kleinere, lokale Befragungen, die nicht repräsentativ sind. Im internationalen Vergleich ist das Bildungsniveau in der Ukraine sehr hoch, die tertiäre Einschulungsquote liegt bei 83 Prozent, bei Frauen höher als bei Männern. So viele Menschen besuchen eine Fachschule, Berufsakademie, Hochschule oder Universität. In Deutschland liegt diese Quote bei 74 Prozent. Wenn man sich die Ukrainer ansieht, die schon vor längerer Zeit hierhergekommen sind, kann man auch vergleichsweise hohe Bildungsabschlüsse sehen. Wir können wohl mit einem hohen Bildungsniveau bei den Geflüchteten rechnen.
Es kommen sehr viele Frauen, viele auch mit Kindern. Was heißt das für die berufliche Integration?
Kinder nehmen natürlich viel Zeit in Anspruch. Deshalb ist es nötig, dass es schnell gute Betreuungsangebote für Kinder gibt. Aber die sind auch für Menschen, die bereits lange in Deutschland zu Hause sind, nicht immer einfach zu finden, das ist ein strukturelles Problem. Und natürlich sollten die älteren Kinder und die Jugendlichen schnell in die Schulen integriert werden, damit die Mütter arbeiten gehen können.
Viele der Geflüchteten wollen in die Ballungszentren und in die großen Städte. Dort aber sind Wohnungen zumeist knapp. Sollte man den Menschen aus der Ukraine nicht besser raten, in die ländlichen Regionen zu gehen?
Man sollte den Menschen die Möglichkeit geben, dorthin zu gehen, wo sie für sich die besten Chancen sehen. Die Menschen handeln rational und werden den Weg nehmen, den sie für sich am besten halten. In den Ballungsräumen gibt es starke soziale Netzwerke, die gerade am Anfang wichtig für eine gute Integrationsperspektive sind. Diese Netzwerke sind auch wichtig, um traumatische Erfahrungen zu verarbeiten. 2015 und 2016 wurden die Flüchtlinge nach dem Königsteiner Schlüssel verteilt, viele kamen in Regionen mit einer vergleichsweise schlechten wirtschaftlichen Lage. Unsere Studien zeigen, dass das einen negativen Effekt auf die Arbeitsmarktintegration hat. Man sollte bei der Verteilung deshalb unbedingt stärker auf die wirtschaftliche Situation achten. Wer in den Arbeitsmarkt integriert ist, kann sich dann auch eine eigene Wohnung leisten.
Interview: Peter Hanack
