1. Startseite
  2. Rhein-Main
  3. Landespolitik

Ex-LKA-Chefin übt Kritik im Hanau-Ausschuss: „Sehr unprofessionell“

Erstellt:

Von: Yvonne Backhaus-Arnold, Gregor Haschnik, Yağmur Ekim Çay

Kommentare

Der Ausschuss befindet sich auf der Zielgeraden.
Der Ausschuss befindet sich auf der Zielgeraden. © Renate Hoyer

Die frühere LKA-Chefin Thurau sagt im Hanau-Untersuchungsausschuss zu möglichen Einmischungsversuchen bei Notruf-Ermittlungen aus.

Brisante Aussagen der früheren LKA-Chefin Sabine Thurau im Hanau-Untersuchungsausschuss belasten die einstige hessische Polizeiführung. Sie stützen den Verdacht auf ein Fehlverhalten bei den Ermittlungen zum Notruf, der während des Anschlags kaum erreichbar war – auch für den später erschossenen Vili-Viorel Paun.

Es geht um einen möglichen Einmischungsversuch. Eine Beamtin des Landespolizeipräsidiums (LPP) soll im März 2021 eine Mitarbeiterin Thuraus angerufen haben, die für interne Ermittlungen zuständig war. Sie habe nach dem Stand des Verfahrens gefragt und angeboten, selbst auf Zeug:innen zuzugehen, so die LKA-Ermittlerin. Diese beschwerte sich daraufhin bei Thurau und fertigte einen Vermerk über die Sache an.

Vorgesetzte der Anruferin vom LPP trugen Verantwortung für den Notruf und waren somit potenziell Beschuldigte: Roland Ullmann, erst Präsident des Polizeipräsidiums Südosthessen (PPSOH) und später Landespolizeichef, sowie Hans Günter Knapp, ehemals Leiter der ebenfalls für Hanau zuständigen Polizeidirektion Main-Kinzig, später Inspekteur der hessischen Polizei. Beide sind mittlerweile im Ruhestand.

Thurau sagte jetzt, sie habe frühzeitig an Ullmann appelliert, sich bei den Notruf-Ermittlungen aus „der Berichtskette“ zu nehmen – vor dem Hintergrund seiner früheren Funktion. Bei Knapp sei die Situation ganz ähnlich gewesen. Hinzu kam, dass es bei der Landespolizei offenbar Unterlagen zu den technischen und personellen Problemen beim Notruf gab. Die Missstände sollen lange bekannt und „nach oben“ kommuniziert worden sein. Knapp und Ullmann bestreiten, davon gewusst zu haben.

Letzterer habe die Hinweise nicht nachvollziehen können und gesagt, er habe sich nichts vorzuwerfen. Thurau soll entgegnet haben, es komme darauf an, den Dienst- und Berichtsweg einzuhalten, objektiv und korrekt zu sein.

Als Thurau von dem Anruf bei ihrer Mitarbeiterinen hörte, sei die Irritation groß gewesen. „Das ist ein sehr unprofessionelles Vorgehen“, direkt in die Sachbearbeitung „hineinzutelefonieren“ und „an der Behördenleitung vorbeizugehen“. Die LKA-Präsidentin war auch deshalb erstaunt, weil nach mehreren aufsehenerregenden Verbrechen zuvor – wie dem Mord an Kassels Regierungspräsident Walter Lübcke – großer Wert darauf gelegt worden sei, bei der Kommunikation die Vorschriften einzuhalten.

Vor Thurau wies die LPP-Mitarbeiterin den Vorwurf zurück, sie habe unzulässigerweise mehr über das später eingestellte Verfahren zu den Notruf-Problemen herausfinden – und womöglich Einfluss nehmen wollen. Die LKA-Beamtin müsse etwas falsch verstanden haben. Das LPP werde „nie operativ tätig“, befrage keine Zeug:innen. Sie habe nur angerufen, um für den Innenausschuss und parlamentarische Anfragen Informationen einzuholen, vor allem die noch fehlende dazu, wie lange die Vernehmungen des LKA in etwa dauern würden. Denn im Anschluss hätten Polizist:innen der Station Hanau 1 Fragen beantworten sollen, die sich nicht um den Notruf drehten, etwa zur Einsatzlage in der Tatnacht. Das Landespolizeipräsidium hätte die Beamt:innen laut der Zeugin auch hierzu nicht selbst vernommen.

Nachdem sie von der Beschwerde aus dem LKA erfahren hatte, schrieb die Beamtin Knapp in einer Mail, die „Zusammenarbeit“ mit dem LKA laufe nicht reibungslos. Darauf angesprochen meinte sie, sich lediglich direkte, kurze Wege gewünscht zu haben. Dass Knapp der Adressat war, betrachtet sie nicht als problematisch. Er habe in seiner Rolle als Inspekteur gehandelt, seine Aufgaben erfüllt.

Mehrere Ausschussmitglieder ließen Zweifel an den Aussagen erkennen. Der Vorsitzende Marius Weiß (SPD) verwies darauf, dass die LPP-Beamtin doch ganz kurz vor ihrem Anruf Antworten vom LKA erhielt. Thurau, die ihre eigene Mitarbeiterin als sehr professionell beschrieb, erklärte, eine Nachfrage zur Dauer der Vernehmungen sei nicht sinnvoll gewesen. Das Prüfverfahren habe erst begonnen.

Zu Beginn der Ausschuss-stzung am Freitag hatte Heike Kleffner ausgesagt, Geschäftsführerin des Bundesverbandes der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Leitfäden, klare Zuständigkeiten, eine bessere Kommunikation der Behörden mit den Überlebenden und Angehörigen der Opfer – das fordert sie in ihrem Gutachten. Kleffner nannte ein Beispiel aus Sachsen-Anhalt: Hier gab es unmittelbar nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle am 9. Oktober 2019 ein Gesprächsangebot an die Hinterbliebenen – sowohl aus dem Innenministerium als auch vom Landespolizeipräsidenten, der sich sogar öffentlich für Fehler entschuldigt hatte.

Nach dem Attentat von Hanau gab es all dies nicht. „Ein Gesprächsangebot“, sagt Kleffner, „ist, gerade, wenn es frühzeitig kommt, eine große Hilfe für die Angehörigen. Es zeigt, dass sich die Behörden stellen, dass sie die Last der Opfer und Hinterbliebenen sehen.“ Die Beratungsstelle Response hatte laut Kleffner im März und April 2020 zwei Anfragen an das Landespolizeipräsidium geschickt und darin um ein Gespräch gebeten. Ohne Erfolg. Der erste Kontakt am Ort eines Anschlags sei wichtig, genauso wie verlässliche Ansprechpartner:innen und ein gutes Informationsmanagement. „Ein offizieller Leitfaden für den kommunikativen Umgang wäre wünschenswert“. Kleffner empfiehlt kurze Gespräche, klare schriftliche Hinweise, etwa zur Obduktion. „Alles andere überfordert die Menschen in den ersten Stunden und Tagen ohnehin.“

Die 57-Jährige zitierte viele Aussagen aus dem Ausschuss, Fehler, die sich offenbarten, reiht sie aneinander gleichsam wie ein Plädoyer der Familien, zeigt dadurch aber, wo Missstände lagen. Und sie fordert einen offenen Umgang mit institutionellem Rassismus innerhalb der Polizei. „Darüber muss gesprochen werden, weil es Einfluss auf Ermittlungsarbeit und polizeiliches Handeln hat.“

Auch interessant

Kommentare