Landtagswahl in Hessen: Offenes Rennen zwischen CDU, SPD und Grünen

Der Wahlkampf zur hessischen Landtagswahl wird spannend wie lange nicht. Wer am Ende in die Staatskanzlei einzieht, ist derzeit nicht abzusehen. Eine Analyse.
Wiesbaden – Das Warten hat ein Ende. Ziemlich genau acht Monate vor der nächsten hessischen Landtagswahl am 8. Oktober wissen die Wählerinnen und Wähler vor welcher Entscheidung sie stehen. Denn egal, wie der Wahlkampf läuft, egal welche Koalitionsverhandlungen später geführt werden, eins steht bereits fest: Der nächste Chef oder die nächste Chefin in der hessischen Staatskanzlei in Wiesbaden wird Boris Rhein, Tarek Al-Wazir oder Nancy Faeser heißen.
Abgesehen vom hessischen CDU-Ministerpräsidenten, seinem grünen Wirtschaftsminister und der Bundesinnenministerin von der SPD hat im Herbst niemand eine Chance auf dieses wichtige Amt; obgleich die kleineren Parteien sicherlich ebenfalls eine wichtige Rolle spielen werden.
CDU, SPD und Grünen gehen in einen „Dreikampf“ – Linke kämpfen um Rückkehr in den Landtag
Die zum Teil rechtsextreme AfD stand in den letzten seriösen Umfragen bei zwölf Prozent der Stimmen, sie dürfte im Wahlkampf mit ihrem Spitzenkandidaten Robert Lambrou versuchen, mit rechtspopulistischen Tönen, etwa zu Migration und Flüchtlingen, die Debatte zu beeinflussen. Der FDP mit ihrem Spitzenkandidaten Stefan Naas, dem ehemaligen Bürgermeister von Steinbach im Taunus, könnte je nach Wahlausgang sogar eine Rolle als Königsmacherin zukommen.
Und die Linken, die ihre Spitzenkandidatur im Lauf des Februar bekannt geben will, kämpft um ihren Wiedereinzug in den Landtag und könnte die rechnerischen Möglichkeiten der Koalitionsbildung ebenfalls beeinflussen. Aber eine Landesregierung können nur CDU, Grüne oder SPD anführen. Die Grünen, die spätestens seit ihren deutlichen Zugewinnen bei der letzten Hessenwahl 2018 und ihrer Regierungsbeteiligung im Bund weiter an Selbstbewusstsein zugelegt haben, sprechen schon lange von einem „Dreikampf“ um die hessische Staatskanzlei.
Landtagswahlen im Oktober: Eine echte Wechselstimmung gibt es eher nicht in Hessen
Und noch etwas ist bereits klar: Jetzt, wo sich Nancy Faeser zu einer Kandidatur entschlossen hat, wird der hessische Wahlkampf, der seine heiße Phase erst nach den Sommerferien Anfang September erleben dürfte, um einiges interessanter. Denn auch wenn die schwarz-grüne Landesregierung bei den Hess:innen beliebt ist und die CDU bei den letzten veröffentlichten Umfragen mit 27 Prozent Stimmenanteil vorn lag, folgten ihr SPD und Grüne mit je 22 Prozent der Stimmen recht dicht auf den Fersen.

Und diese letzten Zahlen stammen bereits aus dem Oktober vergangenen Jahres. Niemand kann seriös sagen, wie die politische Großwetterlage in Hessen, im Bund und in Europa sein wird, wenn die hessischen Bürger:innen an die Urnen gehen. Kurz gesagt: Auch wenn Hessen von einer echten Wechselstimmung recht weit entfernt ist, könnte die Wahl durchaus ein knappes Rennen werden – und das ist allen Parteien sehr bewusst.
Ergebnisse zuletzt haben gezeigt: Landtagswahlen können durchaus stark vom Bundestrend abweichen
Das gilt umso mehr, als die letzten Landtagswahlen in der Republik gezeigt haben, dass Ergebnisse auf Landesebene durchaus vom Bundestrend abweichen können – und das dabei auch die Persönlichkeiten der zentralen Kandidat:innen eine wichtige Rolle spielen. Und offen ist das Rennen auch deshalb, weil bisher noch nicht so recht absehbar ist, welche Themen den Wahlkampf beherrschen werden.
Zuletzt ging es auch in Hessen sehr viel um die ganz große Politik, um die Auswirkungen durch den Ukraine-Krieg, um Strom- und Gaspreise, um Inflation und stark steigende Flüchtlingszahlen. Die schwarz-grüne Koalition in Wiesbaden hält sich zugute, im Zusammenspiel mit dem Bund und den anderen Bundesländern, aber auch mit einem eigenen Hilfsprogramm die schlimmsten Folgen der Krise für Menschen, Institutionen und Unternehmen erfolgreich abgefedert zu haben. Etwa mit der Strom- und Gaspreisbremse, aber auch mit Unterstützung für Sportvereine und soziale oder kulturelle Initiativen.
Welche Themen die Landtagswahl in Hessen bestimmen werden, steht noch nicht fest
Auch zwei weitere potenzielle Wahlkampfthemen, bei denen sie durchaus angreifbar sind, haben CDU und Grüne noch rechtzeitig vor der Wahl abgeräumt: Die A13-Besoldung für Grundschullehrkräfte und die verfassungswidrige Beamtenbesoldung, die nun in mehreren Schritten neu geregelt werden soll. Aber auf welche Themen werden die Koalitionsfraktionen setzen?

Die CDU ganz sicher auf Wirtschaft und innere Sicherheit, vielleicht auf Bildung und stabile Finanzen. Die Grünen ganz sicher auf Klimaschutz und Verkehrswende, vielleicht auch auf eine plurale, offene Gesellschaft. Derweil will die SPD, das hat Nancy Faeser schon durchblicken lassen, will mit klassisch sozialdemokratischen Themen punkten: gute Arbeitsbedingungen, starke Wirtschaft, bezahlbarer Wohnraum, Respekt vor Leistung. Und als profilierte Innenpolitikerin und Bundesinnenministerin kann Nancy Faeser auch auf der Klaviatur des Diskurses um Sicherheit und Ordnung spielen. Und hier und da dürfte sie auch auf den Reformbedarf in der von vielen Skandalen um rechtsextreme Chatgruppen erschütterten hessischen Polizei hinweisen.
Landtagswahlen in Hessen: Rhein hat gezeigt, Krisen meistern zu können – Al-Wazir punktet mit Pragmatik
Bleibt das Trio der Spitzenkandidat:innen. Da ist Boris Rhein, früher mal ein innenpolitischer Scharfmacher, heute eher ein CDU-Liberaler, der freundlich und umarmend auftritt, als Wahlkämpfer aber auch die klare Kante beherrscht. Lange ist er noch nicht im Amt, aber im Krisenmanagement kann er auf Erfolge verweisen.

Da ist Tarek Al-Wazir, der superpragmatische Star der hessischen Grünen, in Hessen breit bekannt und trotz eines gelegentlichen Hangs zum Besserwissen beliebt. Zuletzt war Al-Wazir mit Projekten wie den Flatrate-Tickets für Senior:innen, Landesbeschäftigte, Schüler:innen oder ärmere Menschen erfolgreich, die Energiewende läuft dagegen nicht ganz so rund in Hessen.
Faeser setzt bei Landtagswahlen in Hessen auf Heimatverbundenheit und klare Kante gegen Rechts
Und da ist Nancy Faeser, die auf Heimatverbundenheit und klare Kante gegen rechts setzt, sich wegen ihres Festhaltens an ihrem Job im Bundesinnenministerium politisch aber durchaus angreifbar gemacht hat.
Wie die Hessinnen und Hessen sich entscheiden, ist so offen wie lange nicht. Es könnte ein spannendes Wahljahr 2023 werden. (Hanning Voigts)