1. Startseite
  2. Rhein-Main
  3. Landespolitik

Kriegsflüchtlinge in Hessen: Von der Ukraine in die Notbleibe

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Jutta Rippegather

Kommentare

Die hessische Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen steht in der Kritik
Die hessische Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen steht in der Kritik. © epd

Die Aufnahmekapazitäten in Hessen sind nahezu erschöpft. Zwei Frauen warten die ganze Nacht auf Stühlen, bis sie ein Bett bekommen. Zwei Tage später geht es weiter in eine Turnhalle.

Kein Coronatest, keine angemessene Verpflegung, keine Informationen: Rund 28 Stunden hätten die beiden ukrainischen Frauen auf Stühlen im Wartebereich der hessischen Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen ausgeharrt, bis ihnen endlich ein schmuddeliges Zimmer zugewiesen wurde. Ihr Schicksal teilten sie mit zahlreichen Landsleuten – darunter viele Kinder. „Die Gießener Behörden sind der Situation offensichtlich nicht gewachsen“, mutmaßt Stefanie Aehnelt, die sich deshalb an die Frankfurter Rundschau wandte. Sie hatte die Frauen vorläufig untergebracht.

Kaum mehr Platz in den Notunterkünften für Ukrainer:innen

Erstaunahme

Die Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen ist für Ausländer:innen zuständig, die Antrag auf Asyl oder internationalem Schutz gestellt haben.

Die vor dem m Krieg geflüchteten Ukrainier:innen gehören nicht dazu. Sie dürfen nach Deutschland einreisen, sich 90 Tage ohne Visum hier aufhalten. Sollte Unterkunft und Versorgung bei Privatleuten nicht gewährleistet sein, sind die Kommunen zuständig.

Trotzdem ist in Hessen Gießen erste Anlaufstelle und kurzfristige Unterbringung. Hier soll die Identität festgestellt werden, medizinische Hilfe geben und ein Impfangebot. jur

Das hessische Sozialministerium weist die Vorwürfe zurück: „Die Erstaufnahmeeinrichtung ist stark gefordert, kommt ihren Aufgaben aber gut nach“, versichert ein Sprecher. Die Unterbringungskapazitäten seien deutlich erweitert, das Personal. verstärkt worden. „Alle ankommenden Geflüchteten werden unabhängig ihrer Nationalität mehrmals während ihres Aufenthalts in der Erstaufnahmeeinrichtung getestet.“

Die ukrainischen Bekannten von Stefanie Aehnelt haben anderes berichtet. Die Berlinerin hatte die beiden Frauen für drei Wochen im Zimmer ihres Mitbewohners beherbergt. Als der seine Bleibe wieder benötigte, meldeten sich die Frauen bei den Behörden. Donnerstag wurden sie mit dem Bus von Berlin nach Gießen transportiert. Freitag um 22 Uhr bekamen sie endlich ein Bett zugewiesen. Montag ging es weiter zu einer Turnhalle in Nidda. „Da kann man auch nicht zur Ruhe kommen“, sagt Aehnelt. Und: Getestet worden seien sie kein einziges Mal.

Putins Krieg hat die größte Fluchtbewegung in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg ausgelöst. Allein die Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen registrierte bis Dienstag, 5. April, 10 065 Menschen aus der Ukraine. Laut Sozialministerium kommen 200 bis 500 pro Tag hinzu. Eine Mammutaufgabe, bei der die Erstaufnahmeeinrichtung als Puffer dient, um die Kommunen zu unterstützen. Aehnelt weiß um die Situation, erwartet keinen großen Komfort. „Aber eine psychosoziale Betreuung, ein paar nette Worte müssten doch möglich sein“, meint sie. Timmo Scherenberg vom hessischen Flüchtlingsrat zeigt ebenfalls großes Verständnis für Reibungsverluste angesichts der schieren Menge und dem neuen Verfahren. Doch Wartezeiten von 28 Stunden ohne ein Bett zu sehen seien nicht hinnehmbar. Einen Einblick in die Aufnahmeeinrichtung hat der Flüchtlingsrat nicht. Ein Mitwirken im Krisenstab des Landes sei den Mitgliedern der Liga der freien Wohlfahrtpflege verwehrt worden, sagt Scherenberg.

Kaum mehr Platz in den Notunterkünften für Ukrainer:innen

Neben Gießen betreibt Hessen acht weitere Erstaufnahme-Standorte plus die Außenstelle am Flughafen Frankfurt. Alle Kapazitäten dort sind „nahezu erschöpft“, heißt es aus dem Sozialministerium. Aktuell würden Menschen aus der Ukraine in Notunterkünften der Landkreise Marburg-Biedenkopf, Wetterau, Vogelsberg sowie Hochtaunus untergebracht. Zwei weitere in den Landkreisen Lahn-Dill und Limburg-Weilburg befinden sich „im Standby-Modus“. Ziel sei eine möglichst schnelle Zuweisung in die Kommunen. Aber auch dort wird es immer enger.

Auch interessant

Kommentare