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Hessen
In Hessen dürfen 50 Praxen impfen
- vonJutta Rippegatherschließen
Das Pilotprojekt mit 10 000 Dosen stößt in der Ärzteschaft auf Kritik. Sie haben genug Erfahrung, um das Impfen vorantreiben.
In der Hausarztpraxis von Ulrike Kretschmann laufen am Dienstag die Telefone heiß: „Die Patienten rufen an, weil sie sich impfen lassen wollen.“ Das würde das Team der Marburger Hausärztin liebend gerne tun. „Wir sind vier Ärzt:innen und sechs medizinische Fachangestellte im Team, wir könnten richtig viele gegen Corona impfen, auch die Einzelpersonen zu Hause, die zu alt sind und in ambulanter Pflege sind.“ Doch in Hessen war die Beteiligung der Niedergelassenen an der Impfkampagne bislang nicht erwünscht. Nun soll sich das ändern. Mit einem Pilotprojekt und rund 50 Praxen.
Kretschmann und viele andere Kolleg:innen sind sauer und enttäuscht. „Ich habe gehofft, dass es endlich losgeht.“ Wozu ein Pilotprojekt, fragt sie. „Wir haben jede Menge Erfahrung mit Impfen gegen Grippe, Masern, FSME. Ich habe sogar gegen Schweinegrippe geimpft.“ Das könne doch nicht der Ernst der Landesregierung sein. „Wir sind in der dritten Welle. Wir laufen den Zahlen hinterher.“ In einer solchen Situation gelte es, alle Kräfte zu bündeln, von Israel zu lernen. „Ich will nicht nur ausprobieren. Ich will impfen.“ Bürokratische Fragen seien im Moment sekundär.
Auch bei der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Hessen laufen am Dienstag die Telefone heiß. Sie hatte im Auftrag des hessischen Sozialministeriums den Aufruf an die 4000 Hausärzt:innen im Land verschickt. Wie Kretschmann wollten viele andere auch ihren Patient:innen zum begehrten Vakzin verhelfen, sagt Sprecher Karl Roth. „Das Interesse ist sehr groß.“ Der Start mit lediglich 50 Praxen kommentiert er diplomatisch: „Ein wichtiger Schritt, damit man in die Fläche kommt.“
Wozu das Pilotprojekt? Weil das Impfen laut KV-Brief „zunächst auf Basis der Vorgaben der Impfverordnung und damit der Priorisierung“ erfolgen müsse. Es gehe „um die Frage, ob das damit verbundene Prozedere zumut- und umsetzbar ist“. Und auch die „praxistaugliche“ Gestaltung der Terminvereinbarung.
Dem Schreiben zufolge sollen zunächst 10 000 Dosen Astrazeneca für die Praxen zur Verfügung stehen. Diese müssen sich auch zu Hausbesuchen verpflichten, die sie mit den Impfzentren absprechen, gebenenfalls samstags Sprechstunden anbieten.
Eine haarscharfe Priorisierung sei nicht nur wegen des Aufwands problematisch, sagt Kretschmann. „Sicher würde ich zuerst die Alten und Kranken impfen.“ Doch innerhalb dieser Gruppe möchte sie nicht noch eine Auswahl treffen müssen. „Das stört das Arzt-Patient-Verhältnis“, sagt sie. „Das wäre ja wie bei der Triage im Krankenhaus.“ Trotzdem wird sie sich wahrscheinlich für das Pilotprojekt bewerben. „Ich will, dass bis zum Sommer möglichst viele schon geimpft sind.“
Unterdessen warten rund 50 000 Menschen der ersten Priorisierungsgruppe weiter auf einen Termin. Sie haben sich für eine Impfung zu Hause registrieren lassen. Doch die Landesregierung schaffe es seit Monaten nicht, ihre Adressdatei an die Kreise und kreisfreien Städte zu übersenden, kritisiert Christiane Böhm von der Linksfraktion. „Das ist der nächste Akt im Impfdrama der Landesregierung“, kommentiert FDP-Fraktionschef René Rock.