1. Startseite
  2. Rhein-Main
  3. Landespolitik

Hessens Krankenhäuser vor gewaltigem Umbruch

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Jutta Rippegather

Kommentare

Das Klinikum Darmstadt ist ein Klinikum der Maximalversorgung und würde es auch bleiben. Renate Hoyer
Das Klinikum Darmstadt ist ein Klinikum der Maximalversorgung und würde es auch bleiben. Renate Hoyer © Renate Hoyer

Personalmangel und Finanznöte erzwingen Strukturänderungen. Im besten Fall können sie die Qualität verbessern.

Der Krankenhauslandschaft stehen große Veränderungen bevor. Die müssen schnell gehen, sonst kommen sie zu spät. Da sind sich alle Verantwortlichen einig - ob in Politik oder im Management. Ein höchst seltenes Phänomen und ein Zeichen dafür, wie ernst die Lage ist. Nicht die von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) angestoßene Neuausrichtung werde zum großen Krankenhaussterben führen, sondern sie könne es verhindern, sagt Kai Klose, hessischer Sozialminister (Grüne). „Wenn es keine Reform gibt, dann wird es weniger Krankenhäuser geben.“

Lage ist ernst

So aber könnten am Ende kurze Wege für Notfälle und eine bessere Versorgungsqualität dank Spezialisierungen stehen. Gelingen werde dies nur, wenn die Krankenhausplanung in den Händen der Länder bleibe. Die Kliniklandschaft in Hessen sei nun mal eine andere als in Bayern oder in einem Stadtstaat wie Berlin. Die Strukturen der ambulanten Versorgung in der jeweiligen Region müssten zudem mitbetrachtet werden, sagt Klose am Mittwochabend in Wiesbaden, wo er an einer Diskussion beim Zukunftskongress des Klinikverbunds Hessen teilnimmt. Eine Landesregierung kenne die regionalen Besonderheiten logischerweise besser als der Bund. Das habe das Bundesgesundheitsministerium verstanden, die Länder seien eng eingebunden.

Die Lage ist ernst: Es gibt zu wenig Personal – erst jüngst musste etwa die Geburtshilfe der Lahn-Dill-Kliniken schließen, weil sich trotz monatelanger Suche keine Ärtz:innen fanden. So manche Struktur passt nicht mehr in die heutige Zeit - etwa die strenge Trennung von ambulanter und stationärer Behandlung. Die Pandemie hat die Löcher in den Kassen noch vergrößert und die hessische Landesregierung hatte über Jahrzehnte an Investitionskosten gespart. Mit Klose als Minister hat Schwarz-Grün zwar die Summen massiv erhöht - dafür gibt es Applaus beim Kongress. Doch für manches Haus könnte es zu spät sein, befürchtet Reinhard Schaffert, Geschäftsführer des Verbunds, der die Interessen der hessischen Krankenhäuser in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft sowie der Spitzenverbände der Trägerorganisationen vertritt. „Die Insolvenz ist kein Gespenst mehr, sondern Realität geworden und klopft an manche Krankenhaustüren“, sagt Schaffert.

Die Reform

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will die deutschen Krankenhäuser reformieren. Bis zum Sommer soll ein Gesetzentwurf vorliege. Eine Kommission hat dazu Vorschläge erarbeitet.

Das System der Fallpauschalen soll ergänzt werden durch eine Pauschale für Vorhaltekosten bei bestimmten Leistungen – etwa in der Notfallmedizin oder Geburtshilfe.

Eine Arbeitsteilung auf drei Ebenen ist geplant. Die Spitze bilden so genannte Maximalversorger wie Unikliniken oder Großkrankenhäuser mit sämtlichen Fachbereiche inklusive Intensivmedizin und Notfallversorgung anbieten (Level III). Es folgen Häuser mit Spezialisierung auf bestimmte Fachbereiche (Level II).

Auf der untersten Ebene sollen zwei Typen entstehen: Kliniken der Basisversorgung in Chirurgie und Innerer Medizin mit einige Intensivbetten und einer Notaufnahme. Zum anderen Krankenhäuser mit Allgemeinmedizin und Pflege im Vordergrund.

Das Konzept sieht für bestimmte Leistungen gesetzlich vorgeschriebene Mindestanforderungen an Personal und Technik vor. Krebskranke etwa dürfen einzig in zertifizierten Krebszentren behandelt werden. jur

Auf dem Podium herrscht Einigkeit. Ein „Weiter so“ ist keine Option. Eile sei geboten, sagt Vorstandsvorsitzender Clemens Maurer und weist auf die Nervosität hin, die die Reform ausgelöst habe: „Wir müssen sehr schnell den Mitarbeitenden Sicherheit geben, wie die zukünftige Struktur aussieht, und wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber ehrlich sein, dass die Krankenhaus- und Gesundheitsversorgung morgen anders aussehen wird und anders aussehen muss als heute.“

Anders muss nicht zwangsläufig schlechter heißen. Geht es nach den Vorstellungen der Regierungskommission, wird es künftig weniger Krankenhäuser geben, die alles machen. Sie plädiert für eine Hierarchie auf drei Ebenen: Die ganz großen Häuser kümmern sich um die schweren Fälle, die kleineren spezialisieren sich - etwa auf Kardiologie. Das dritte sind die Häuser, bei denen sich der Bedarf an medizinischer Expertise in Grenzen hält. Dort könnten jene untergebracht werden, die kein Bett beim Großversorger blockieren müssen, aber noch nicht so weit genesen sind, dass sie entlassen werden können. Vorteil wäre die Wohnortnähe. Eignet sich das heimische Umfeld, wäre auch Übernachtung zu Hause eine Option.

Vor demografischem Tsunami

Ein Vorschlag, dem Henriette Neumayer von der Deutschen Krankenhausgesellschaft Vorteile abgewinnen kann. „Tagesstationäre Behandlung erschließt Freiräume.“ Die stellvertretende Vorstandsvorsitzende geht noch einen Schritt weiter: Krankenschwestern könnten nach Hause kommen. Es gebe einiges „an patientenorientierten“ Ideen jenseits der ausgetrampelten Pfade. Jetzt sei noch Zeit genug, sie zu entwickeln und auszuprobieren. Wenn die Babyboomergeneration in den Ruhestand gehe und medizinische Hilfe benötige, sei es zu spät. „Wir haben noch zehn Jahre Zeit bis zum demografischen Tsunami.“

Auch interessant

Kommentare