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Hessen: Warten auf den Notruf

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Von: Pitt v. Bebenburg

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Die Telefonnummer
Notrufnummer ist die 110 © Zacharie Scheurer/dpa

Wie schnell kommt man durch, wenn man in Hessen die 110 wählt? Die Antworten des hessischen Innenminister Peter Beuth (CDU) stellen die Opposition nicht zufrieden.

Tausende Menschen wählen jedes Jahr in Notlagen die Telefonnummer 110, um die Polizei zu erreichen. Nicht immer dringen sie damit schnell durch.

Mehr als 78 000 Anrufe bei der hessischen Polizei wurden im vorigen Jahr abgebrochen, bevor jemand im Polizeirevier abnahm. Das waren etwa zehn Prozent der rund 788 000 Notrufe des Jahres 2020. Das geht aus aktuellen Antworten des hessischen Innenministers Peter Beuth (CDU) auf Fragen des FDP-Landtagsabgeordneten Stefan Müller hervor.

Keine konkrete Zeitvorgabe

Weitere mehr als 1000 Anrufe wurden nicht innerhalb von 30 Sekunden angenommen. In diesen Fällen wird ein Gespräch nach einer Minute Wartezeit an eine andere Leitstelle weitergeleitet. Es „kann dort ebenfalls angenommen werden“, schrieb Beuth. „Eine konkrete Zeitvorgabe existiert in Bezug auf die Annahme eines Notrufs nicht.“

Unklar ist, warum ein so hoher Anteil von Anruferinnen und Anrufern auflegt, bevor jemand abnimmt. Beuth nennt als mögliche Gründe „die Beendigung seitens des Anrufers, Fehlanrufe, den Missbrauch von Notrufeinrichtungen sowie leitungsbedingte Abbrüche durch Störungen im Mobilfunk- und Festnetz“. In 87 Prozent der Fälle sei der Anruf innerhalb von 15 Sekunden abgebrochen worden.

„Im Notfall keine 45 Sekunden Zeit“

Der FDP-Abgeordnete Stefan Müller findet das naheliegend. „Wenn ich einen Notruf absetze, weil ich gerade bedroht werde, habe ich keine 45 Sekunden Zeit“, sagt er. „Es kann nicht sein, dass erst nach dem zehnten Klingeln jemand abnimmt.“ Der oppositionelle Innenpolitiker sieht „definitiv Verbesserungsbedarf“. Seine Fraktion hakt mit einer weiteren Anfrage bei Minister Beuth nach.

Der Innenminister hatte in seiner ersten Antwort versichert, die Bürgerinnen und Bürger besäßen „einen berechtigten Anspruch, dass ihnen im Falle einer Notlage unmittelbar und schnellstmöglich Hilfe durch die Polizei, Feuerwehr und Rettungskräfte zuteil wird“.

Das Versagen von Hanau

Das Notrufsystem der hessischen Polizei war nach dem rassistischen Terroranschlag von Hanau am 19. Februar 2020 in die Kritik geraten. Seinerzeit waren mehrere Anruferinnen und Anrufer telefonisch nicht bei der Polizei durchgekommen, darunter Vili Viorel Paun, der den Täter verfolgte und daraufhin selbst erschossen wurde. Minister Beuth wies in der jüngsten Auskunft erneut darauf hin, dass die Einsatzkräfte trotz der Probleme beim Notruf „direkt nach Bekanntwerden der Schüsse“ am Tatort eingetroffen seien. Kritikerinnen und Kritiker argumentieren jedoch, die Polizei habe den 22-jährigen Paun wegen des missglückten Notrufs nicht auffordern können, sich vom Täter fernzuhalten.

Nach Beuths Angaben war seinerzeit nur noch im zuständigen Polizeipräsidium Südosthessen in Offenbach eine veraltete Technik für das Notrufsystem im Einsatz. Die Probleme lassen sich in der Statistik ablesen: In diesem Polizeipräsidium gingen mit Abstand die wenigsten Notrufe des Jahres 2020 ein.

Ein Jahr nach den Morden umgestellt

Mittlerweile wurde das neu errichtete Offenbacher Polizeipräsidium in Betrieb genommen. Seit August 2021 steht dort das gleiche Notrufsystem zur Verfügung wie in den anderen Präsidien. Dort war der Missstand nach der Terrornacht von Hanau nicht unmittelbar abgestellt worden. Vielmehr wurde erst Ende 2020 vom ISDN-Standard auf IP umgestellt. Im Februar 2021, ein Jahr nach den Morden, wurde diese Technik genutzt, um das Polizeipräsidium Südosthessen in den hessenweiten Verbund der Leitstellen einzubinden, wie Beuth berichtet.

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