Hessen: Statt Psychotherapie gibt es Pillen

Heilberufe konfrontieren die Landespolitik mit ihren Ideen für eine bessere Versorgung. Die Abgeordneten zeigen sich offen.
Annähernd die Hälfte der Hochbetagten in Pflegeheimen leidet neben körperlichen auch unter massiven psychischen Erkrankungen, sagt Heike Winter. Fast alle würden mit Psychopharmaka behandelt, bekämen keine Psychotherapie, obwohl sie ein Recht darauf haben. „Das ist ungerecht und unethisch“, sagt die Präsidentin der Psychotherapeutenkammer Hessen. Die Lösung seien angestellte Heimtherapeut:innen – Fachkräfte zu finden, sei in ihrer Branche kein Problem, versichert Winter am Mittwoch in Wiesbaden.
Die Psychotherapeutenkammer ist Mitglied des Bündnisses der hessischen Heilberufe. Das hat an diesem Tag mit Blick auf die Landtagswahl am 8. Oktober zur Podiumsdiskussion geladen. Die fünf Vertreter und eine Vertreterin der Landtagsfraktionen erwartet ein bunter Strauß an Themen, der den Bündnismitgliedern auf den Nägeln brennt. Die Zahnärzteschaft beobachtet mit Sorge, dass immer mehr Praxen von Privatinvestoren aufgekauft werden, die sich dann weniger an der Betreuung von Risikogruppen beteiligen und in der Versorgung signifikant teurer sind. In der Veterinärmedizin sind es die Futtermittelkonzerne, die dieses Geschäftsfeld neu entdeckt haben.
Medizinische Versorgung in Investorenhand
Die Meinungen über medizinische Versorgungszentren in Investorenhand sind überwiegend kritisch. Einzig Yanki Pürsün (FDP) ist der Ansicht, dass dieses Geschäftsmodell per se nicht zu verurteilen ist. Und dass ein Verbot, für das Linke und SPD plädieren, unrealistisch sei, da die Betroffenen sich mit Gewissheit juristisch wehren würden.
Wenn schon medizinische Versorgungszentren, dann von Ärztinnen oder Ärzten betrieben oder zumindest in öffentlicher Hand, wie etwa im Vogelsberg. Darüber herrscht nahezu Konsens. Das sei ein Zukunftsmodell, weil der Nachwuchs aus finanziellen Gründen zunehmend die Niederlassung scheue und das Angestelltendasein eine bessere Work-Life-Balance ermögliche. Marcus Bocklet von den Grünen schweben Zentren vor, in denen sich auch andere Gesundheitsanbieter:innen ansiedeln. Etwa Apotheken, für die es wegen des Onlinehandels finanziell zunehmend schwieriger werde, speziell auf dem Land, wie Landeskammerchefin Ursula Funke ausführt.
Medizinische Versorgung in Investorenhand
Das Versorgungsnetz mit Zahnarztpraxen wird außerhalb der Metropolen ebenfalls großmaschiger, warnt Doris Seiz, Präsidentin der Landeszahnärztekammer. Sie regt eine Landzahnarztqote an, wie es sie für das Studium in der Allgemeinmedizin oder Kinder- und Jugendmedizin schon gibt. Die Idee von mehr Studienplätzen und Auswahlverfahren abseits der Abinote kommt bei den Landtagsabgeordneten gut an. Auch die Forderung des Landesärztekammerchefs Edgar Pinkowski stößt auf Zustimmung: ein Lehrstuhl für die Palliativmedizin.