Hessen: Sorge vor der dritten Corona-Welle
Die Pflegeheime hat die Pandemie besonders hart getroffen. Bewohner:innen wie Beschäftigte. und sie ist noch nicht vorbei.
Am Rosenmontag hat Corona mal wieder eine Bewohnerin erwischt. Sie war beim fröhlichen Kreppelessen dabei, hatte auch kräftig mitgeschunkelt - und es ist davon auszugehen, dass sie nicht die einzige Infizierte im Haus Rheingold bleiben wird. „Corona ist noch nicht vorbei“, sagt Dirk Mohr, der mit seiner Frau das Pflegeheim in Oestrich-Winkl betreibt. Ein kleines Haus mit 34 Betten, das sich gerade erst von dem Schock der Sommerwelle erholt hat. 23 Bewohnerinnen und Bewohner waren zwischen Mai und Juni mit dem Virus befallen - alle geimpft. 13 Beschäftigte krank. Ein Horror, den Mohr unter keinen Umständen ein weiteres Mal erleben möchte. Ein Ausnahmezustand. Dank Genehmigung des Gesundheitsamts durfte infiziertes Personal sich zwar um infizierte Bewohner:innen kümmern. Trotzdem fielen ständig Leute aus. „Das war eine Katastrophe“, sagt Mohr, stellvertretender Landesvorsitzender des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste, im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau
Das vergangene Jahr hat Hessens Pflegefachkräfte in Heimen gesundheitlich härter getroffen als die vorherigen Pandemiejahre. Das geht aus dem aktuellen Pflegereport der Barmer-Krankenkasse hervor. Spitzenreiter war demnach der März, in dem 15 von 1000 Pflegefachkräfte arbeitsunfähig waren. Selbst im Juli kamen noch rund 22-mal so viele Krankschreibungen zusammen wie im Vorjahreszeitraum. Wie aus dem Report weiter hervorgeht, waren auch die Pflegebedürftigen in Heimen um ein Vielfaches stärker von Corona-Infektionen betroffen als der Rest der hessischen Bevölkerung. Im Januar 2021 etwa lag ihr Anteil bei mehr als zehn Prozent und damit rund achtmal höher.
„So eine Einrichtung ist wie eine Blase“, sagt Mohr. Wenn das Virus erst mal eingedrungen sei, sei die Ausbreitung kaum mehr zu stoppen. Das sei beim ersten Ausbruch in Haus Rheingold vor drei Jahren so gewesen, als es noch keinen Impfstoff gab. Acht Bewohner:innen waren damals betroffen, relativ wenige Mitarbeiter - kein Vergleich also zu der massiven Sommerwelle.
Pflege in Hessen
Rund 335 000 Menschen in Hessen benötigen Pflege. Ihre Zahl hat laut Barmer seit 2017 um mehr als 41 Prozent zugenommen. Im Pflegegrad zwei sind in Hessen mit 126 700 Personen die meisten Betroffenen eingruppiert.
Beim Pflegegrad eins hat sich die Zahl der Betroffenen seit 2017 vervierfacht.
Die Altersgruppe der 80- bis 89-Jährigen stellt mit rund 122 700 Personen die meisten Pflegebedürftigen. Das sind rund doppelt so viele als unter- 70 bis 79-Jährigen. jur
Nach der Rosenmontag-Schunkelei könnte es zu einem dritten Ausbruch kommen. Und zum 1. März fallen weitere Schutzvorschriften: Pflegekräfte müssen keine Masken mehr tragen, die Pflegekassen finanzieren keine Tests mehr, die im Haus Rheingold vor Dienstantritt inzwischen zur Routine geworden sind. Besucherinnen und Besucher hingegen müssen weiterhin Maske tragen - selbst außerhalb des Heims, was eine Cafébesuch unmöglich macht. „Das muss mir jemand mal erklären“, sagt Mohr.
Außer mit solch absurden Regeln kämpfen die Mohrs mit den Folgen der Einnahmeausfälle, die sich während der Pandemie angesammelt haben. Angesichts der Personalengpässe hatten sie Betten leerstehen lassen - bis zu vier während der Sommerwelle. „Wir waren deutlich unterbelegt.“ Das schlägt sich in niedrigeren Einnahmen nieder. Zuschüsse aus dem staatlichen Schutzschirm wurden zwar beantragt, „die konnten die Minderbelegung aber nur teilweise ausgleichen“. Die Nachfrage, sagt Mohr, sei die ganze Zeit groß gewesen. Die Betten hätten jederzeit besetzt werden können.
Die Barmer hat bei ihrer Auswertung festgestellt, dass im ersten Pandemiejahr etwas weniger Versicherte neu ins Heim gekommen waren. Demnach lag die Zahl im Jahr 2020 mit rund 2090 Menschen drei Prozentpunkte unter dem Vorjahr. Ein Jahr danach stiegen die Zahlen deutlich an. Ein Nachholeffekt, den die Krankenkasse mit der durch Impfungen und Hygienekonzepte gestiegenen Sicherheit erklärt. Im ersten Jahr der Corona-Pandemie seien weniger Menschen in ein Pflegeheim gekommen aus Angst vor Ansteckungsrisiken, schreibt die Barmer.