Hessen: Pro Rad- und Fußverkehr

Die Koalition plant ein Gesetz für Nahmobilität. Es greift nach Meinung der Initiative Verkehrswende zu kurz.
Erstmals bekommt Hessen ein Gesetz, das ausdrücklich den Rad- und Fußverkehr in den Fokus nimmt. Was die schwarz-grüne Koalition als Innovation preist, geht jenen nicht weit genug, die dazu den Anstoß gaben. Anlass für den am Freitag in Wiesbaden vorgestellten Gesetzentwurf sind die 70 000 Unterschriften für ein Volksbegehren, die die Initiative Verkehrswende Hessen im vergangenen Sommer per Rad über die gesperrte Autobahn in die Landeshauptstadt transportierte, um sie Verkehrsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) zu übergeben.
ÖPNV mitdenken
Das geplante Nahmobilitätsgesetz greife zu kurz, urteilte Mathias Biemann, Landesvorstand des Verkehrsclubs Deutschland (VCD). „Ein paar Verbesserungen für die Mobilität zu Fuß und mit dem Fahrrad“ reichten nicht, um sich selbstbestimmt bewegen und am sozialen Leben teilhaben zu können. „Mit einem Verkehrswendegesetz würden alle Menschen in Hessen besser fahren.“ Nach Ansicht des VCD-Landesvorstands muss der öffentliche Nahverkehr zwingend mitgedacht werden. Das fehle im Gesetzentwurf. Wer kein Fahrzeug besäße oder fahren könne, werde weiterhin benachteiligt. „Solche Fälle gibt es nicht nur auf dem Land. Selbst im Rhein-Main-Gebiet, an den Rändern der hessischen Großstädte, gibt es kein Gesamtverkehrssystem, das diesen Menschen ein zuverlässiges Nahverkehrsangebot macht.“
Die verkehrspolitische Sprecherin der Grünen, Kathy Walter, kann die Kritik nicht nachvollziehen. In den Gesetzentwurf seien viele Forderungen der Initiativen eingeflossen. Sie bekämen etwa erstmals die Möglichkeit, bei der Beseitigung von Unfallschwerpunkten in den Kommunen mitzuwirken. Das Land unterstütze die Rathäuser dabei, zugeparkte Gehwege zu verhindern. In den öffentlichen Nahverkehr investiere es „Rekordsummen“ – und es gebe dafür schon ein eigenes Gesetz, so wie für den Straßenverkehr.
Freiwilligkeit
Jenes für den Nahverkehr soll dazukommen und alle, die am Verkehr teilnehmen, auf eine Stufe stellen. In der nächsten Woche will die Koalition den Entwurf in den Landtag einbringen, noch vor der Sommerpause könne das Gesetz verabschiedet werden, sagte Tarek Al-Wazir. Es schlage „ein neues Kapitel der Verkehrswende in Hessen“ auf. Dazu gehöre auch, dass das Land zum Schutz von Radfahrerinnen und Radfahrern seine Fahrzeuge mit Abbiegeassistenten ausrüsten will – als Vorbild für andere Arbeitgeber. Was in den Kommunen geschehe, liege in deren Verantwortung, betonte Heiko Kasseckert (CDU). „Wir setzen auf Freiwilligkeit.“ Das Land biete Unterstützung an, etwa mit Musterlösungen. Es gehe nicht darum, irgendjemanden zu bevorzugen. „Das ist kein Gesetz gegen andere Verkehrsteilnehmer, alle haben den gleichen Rang.“ Ziel sei ein Miteinander, mehr Sicherheit für die Schwächsten.
Die Landesgruppe des Fachverbands Fußverkehr Deutschland bezweifelt, dass das Gesetz sich dazu eignet. Ihre Kritik entzündet sich unter anderem an einem Passus, der dem Bewegungsverkehr in engen Ortsdurchfahrten geschuldet ist. „Neben zahlreichen unverbindlichen und bedeutungsarmen Absichtserklärungen ist sich die hessische Landesregierung nicht zu schade, das Überfahren von Gehwegen als Stärkung des Fußverkehrs auszugeben“, urteilt der Verein. „Dieses wird als Gnadenakt gegenüber zu Fuß Gehenden dargestellt, obwohl es offenkundig darum geht, Mehrspur-Kraftfahrzeuge durch möglichst jede Straße zu zwängen.“
Die Initiative Verkehrswende Hessen erhält ihre Forderungen aufrecht. Die Landesregierung hatte das Volksbegehren aus verfassungsrechtlichen Gründen abgelehnt – etwa weil für den Ausbau der Schieneninfrastruktur der Bund zuständig ist. Dagegen haben die Verbände Beschwerde beim Hessischen Staatsgerichtshof eingelegt.
www.verkehrswende-hessen.de
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