Hessen: Notfallaufnahme am Limit
Der Chef der Frankfurter Uniklinik beobachtet die Entwicklung mit Sorge. Die Krankenhausgesellschaft widerspricht und bestreitet einen Zusammenhang mit den Finanznötem der Häuser.
Die Lage spitzt sich zu. Immer häufiger könnten Krankenhäuser keine Notfälle aufnehmen, sagt Jürgen Graf, Chef der Frankfurter Uniklinik. „Der Druck im System ist gegenwärtig sehr, sehr hoch.“ Es gebe sehr viele Selbsteinweisungen; viele Kliniken könnten aus Kapazitätsgründen Notfälle außerhalb der Regelarbeitszeiten nicht versorgen. „Die zentrale Notaufnahme ist an der Belastungsgrenze“, sagt Graf. Die Akut- und Notfallversorgung mache mittlerweile fast die Hälfte der stationären Belegung der Uniklinik aus – etwa ein Drittel wäre normal. „Dadurch müssen Behandlungen aus dem Kernbereich der universitären Komplexleistungen immer wieder verschoben werden.“
Graf sieht ein strukturelles Problem, das sich mit den verschiedenen Trägerschaften erklären lässt. „In Zeiten hohen wirtschaftlichen Drucks durch Steigerung von Sachbedarfs-, Energie- und Lohnkosten müssen vor allem Kliniken in GmbH-Strukturen oftmals entscheiden, ob die für das wirtschaftliche Überleben notwendigen planbaren Leistungen in der Regeldienstzeit erbracht oder Notfälle behandelt werden.“ Nicht selten seien die von der öffentlichen Hand getragenen Häuser – wie die Uniklinik – die einzigen, die abends oder an Wochenenden noch freie Kapazitäten signalisieren. „Die Folge ist in der Fläche in einigen Bereichen eine deutliche Einschränkung der Leistungsfähigkeit, wie wir sie in den letzten Monaten beispielsweise in der Kinderheilkunde gesehen haben.“
Widerspruch kommt von der Hessischen Krankenhausgesellschaft. „Es ist uns nicht bekannt, dass sich derzeit ungewöhnlich viele Klinken von der Notfallversorgung abgemeldet haben sollen“, sagt Sprecherin Susanne Clemens der Frankfurter Rundschau. Was sie bestätigt ist, dass es immer wieder vorkommt, dass nicht akut behandlungsbedürftige Patientinnen und Patienten kommen, anstatt eine Arztpraxis oder die Ärztliche Bereitschaftsdienstzentrale aufzusuchen. „Hierdurch werden die Notaufnahmen der Krankenhäuser obligatorisch überlastet.“ Von einer Gebühr bei Selbsteinweisung, wie sie Kassenärztechef Andreas Gassen fordert, hält die Krankenhausgesellschaft nichts: „Wir können nicht die Bevölkerung bestrafen, wenn sie in Notsituationen nicht weiß, wohin sie sich wenden soll“, sagt Clemens. Zumal Hessen weit entfernt sei von einer flächendeckenden – auch ambulanten – Notfallversorgung rund um die Uhr und an den Wochenenden.
Die finanzielle Situation der Krankenhäuser sei „dramatisch“, sagt Clemens. Auswirkungen auf die Notfallversorgung seien aber aktuell nicht festzustellen, doch das könnte sich ändern, wenn die Bundespolitik nicht schnell kurz-, mittel- und langfristige Lösungen für eine auskömmliche Finanzierung finde. „Sollte dies nicht der Fall sein, werden Krankenhäuser gezwungenermaßen schließen müssen.“ Dann könne es durchaus zu Versorgungsengpässen kommen.
Uniklinikchef Graf setzt große Hoffnung in die Krankenhausreform, an die sich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) herantraue. Die geplante Arbeitsteilung unter den Kliniken etwa werde zwar nicht von heute auf morgen funktionieren, da sei er ganz Realist. Doch sie sei eine Chance, das stationäre System auf neue, gesündere Füße zu stellen. „Ein erster Schritt, um das Gesundheitssystem zukunftsfest zu machen“, sagt Graf.