Hessen: Neuer Anzeiger für die Lebensqualität im Land

Index soll Auskunft über die soziale, ökologische und ökonomische Entwicklung Hessens geben. Kritiker sehen darin eine Schönfärberei der tatsächlichen Lage.
Ein sogenannter regionaler Wohlfahrtsindex soll zeigen, wie sich Hessen in sozialer, ökologischer und ökonomischer Hinsicht entwickelt. Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) hat den neuen Index am Montag in Wiesbaden vorgestellt. Kritiker:innen bemängeln, dieser gebe ein geschöntes Bild der Wirklichkeit wieder.
„Wir wollen die Entwicklung der Lebensqualität in Hessen insgesamt darstellen“, beschrieb Minister Al-Wazir den Zweck des neuen regionalen Wohlfahrtsindexes (RWI). Dieser zeichne ein umfassendes Bild der ökologischen, ökonomischen und sozialen Entwicklung in Hessen. Insgesamt gehen 21 Komponenten darin ein, die entweder wohlstandsfördernd seien wie Bildungsinvestitionen oder negativ wie Lärm- und Luftverschmutzung.
Während das Bruttoinlandsprodukt (BIP) lediglich den jährlichen Wert von Waren und Dienstleistungen erfasse, würden in den Wohlfahrtsindex auch Faktoren wie Umweltschutz, ehrenamtliche Arbeit, die Zugangsgerechtigkeit zu Bildung oder die Verteilung von finanziellem Wohlstand einfließen. „Wir können dabei sehen, wie gut Politik Wohlfahrtsziele erreicht, welche Wege zu einer nachhaltigen Wohlfahrtssteigerung es gibt und können damit die Politik in ihrem Handeln besser ausrichten“, erläuterte Al-Wazir.
Beispiel Verkehrsunfall
Am Beispiel eines Verkehrsunfalls erläuterte der Wirtschaftsminister, wie BIP und RWI ein und dasselbe Ereignis unterschiedlich darstellen würden. Im BIP erschienen die Kosten für die Reparatur von Fahrzeugen, die Beschaffung von Ersatzteilen sowie die Versorgung von Verletzten positiv als Waren und Dienstleistungen. Der RWI erfasse Unfälle dagegen als negative Ereignisse und sinke im Unterschied zum BIP, wenn ein solcher Schaden entstanden sei.
Der regionale Wohlfahrtsindex zeige, dass sich Hessen von 1999 bis 2005 negativ entwickelt habe. Bis zum Jahr 2013 habe es eine Stagnation gegeben, seitdem sei er gestiegen, was für eine Zunahme der Wohlfahrt spreche. Positiv sei beispielsweise, dass die Ungleichheit abgenommen habe und die privaten Konsumausgaben wüchsen. Zugleich sei es, so Al-Wazir, von 2013 an gelungen, das Wirtschaftswachstum von einem zunehmenden Umweltverbrauch zu entkoppeln.
Der RWI ist in seinem Aufbau weitgehend identisch mit dem bereits existierenden nationalen Wohlfahrtsindex, der die Entwicklung in ganz Deutschland beschreibt. Die Version für Hessen entstand im Auftrag des Wirtschaftsministeriums. Entwickelt haben den RWI Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen des Instituts für interdisziplinäre Forschung der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (Fest) in Heidelberg.
Projekt der schwarz-grünen Landesregierung
Gekostet hat das Erstellen des RWI laut Al-Wazir 45 000 Euro. Die Entwicklung eines solchen Indexes ist im Koalitionsvertrag von CDU und Grünen vereinbart. Eigentlich hätte er schon 2020 kommen sollen, wurde allerdings wegen der Corona-Pandemie verschoben.
Kritik kam von Landtags-Opposition und den Gewerkschaften. So bemängelte Stefan Naas (FDP), der Index lasse keinen Vergleich mit anderen Bundesländern zu. Minister Al-Wazir „erfinde“ neue Kennzahlen, um zu kaschieren, dass sich unter ihm das Wirtschaftswachstum vergleichsweise schlecht entwickelt habe. Der Index sei „höchst fragwürdig ausgestaltet“ und auf die Belange der Regierung maßgeschneidert, kritisierte Tobias Eckert (SPD). Der Landessozialbericht habe erst im Februar gezeigt, dass es an flächendeckenden Kinderbetreuungsangeboten und bezahlbarem Wohnraum fehle.
„Armut nimmt zu“
Der regionale Wohlfahrtsindex sei kaum geeignet, die soziale Entwicklung in Hessen angemessen zu erfassen, sagte auch der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) Hessen-Thüringen, Michael Rudolph. Tatsächlich sei die Armutsquote in Hessen dramatisch gestiegen, Einkommen und Vermögen seien zunehmend ungleich verteilt.
Die gesamte Studie ist als Download auf den Seiten des hessischen Wirtschaftsministeriums zu finden unter https://wirtschaft.hessen.de/wirtschaft/wohlfahrtsindex