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Hessen: Patient starb mit, nicht an Listeriose - Ministerin Hinz weist Kritik zurück

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Von: Hanning Voigts, Jens Joachim

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Verbraucherschutzministerin Priska Hinz (Mitte) Anfang April beim Spargelstechen.
Verbraucherschutzministerin Priska Hinz (Mitte) Anfang April beim Spargelstechen. © Renate Hoyer

Vier Fälle von Listeriose: Nach dem Skandal um belastete Gurken aus einem Schneidebetrieb in Südhessen betont das Verbraucherschutzministerium, frühzeitig gehandelt zu haben. Die Todesursache bei einem Patienten, der Mitte November im Sana-Klinikum in Offenbach verstarb, war nicht - wie bislang behauptet wurde - seine Listeriose-Infektion. Der Kreis Groß-Gerau zieht unterdessen erste Konsequenzen.

Im Skandal um mit gefährlichen Listerien belastete Gurken aus einem Schneidebetrieb im südhessischen Gernsheim hat die hessische Verbraucherschutzministerin Priska Hinz (Grüne) sämtliche Verantwortung von sich gewiesen. Als ihr Haus am 11. Februar erstmals über einen neuen Listeriose-Fall informiert worden sei, habe man sofort die neue Task-Force Lebensmittelsicherheit informiert und entsprechende Kontrollen veranlasst, teilte das Ministerium für Umwelt und Verbraucherschutz der Frankfurter Rundschau mit. Man habe die nach dem Skandal um verunreinigte Produkte des nordhessischen Wurstherstellers Wilke optimierten Abläufe „ohne Verzögerung umgesetzt“, erklärte das Ministerium.

Als mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestanden habe, dass die vier Listeriose-Erkrankungen in Hessen durch Verunreinigungen bei der Firma Maus in Gernsheim verursacht wurden, sei die Produktion dort bereits durch den Landkreis Groß-Gerau gestoppt worden, teilte das Ministerium weiter mit. Ein größerer Krankheitsausbruch durch Lebensmittel habe somit bereits „im Keim erstickt“ werden können.

Hessen: Vier Menschen erkranken an Listeriose - einer stirbt mit, aber nicht an der Infektion

Nachdem seit November vergangenen Jahres vier Menschen in Krankenhäusern in Frankfurt und Offenbach an Listeriose erkrankt waren und einer der Infizierten – allerdings nicht an der Infektion, sondern an den Folgen seiner schwerwiegenden Pneumokokken- und Corona-Erkrankung – verstorben war, war aus der Opposition im Landtag zuletzt Kritik an Priska Hinz laut geworden. Es war der Vorwurf erhoben worden, aus dem Wilke-Skandal von 2019 sei offenbar zu wenig gelernt worden. Damals war nach 37 Listeriosefällen auch Hinz unter Druck geraten, die im Anschluss zahlreiche Reformen bei der Lebensmittelkontrolle auf den Weg gebracht hatte.

Chronik

Im November 2021 und Januar 2022 werden im Sana-Klinikum Offenbach bei drei Patient:innen Listeriose-Infektionen festgestellt, wobei sich eine Patientin bereits vor ihrem Klinikaufenthalt mit dem Erreger infiziert hatte. Ein Patient stirbt am 17. November - „aber nicht an den Folgen der Infektion, sondern an den Folgen seiner schwerwiegenden Pneumokokken- und Corona-Erkrankung“, wie Marion Band, die Sprecherin des Offenbacher Klinikums, auf Anfrage der Frankfurter Rundschau nun mitteilte. Bislang hatte es geheißen, die Todesursache sei das „durch bakterienbelastete Essen“ in dem Klinikum gewesen, was jedoch laut der Kliniksprecherin nicht zutrifft.

Mitte Januar 2022 tritt ein weiterer Infektionsfall mit Listerien im Frankfurter Markus-Krankenhaus auf. Durch das schnelle Handeln der beteiligten Mediziner:innen kann die Infektion erfolgreich behandelt werden.

Am 5. November 2021 wird die „Gourmet-Werkstatt Rhein-Main Wetterau“ in Bad Nauheim, die auch das Offenbacher Klinikum mit Speisen beliefert – von den Veterinärämtern in Friedberg und Offenbach über den Listerien-Fall informiert. Mitte Januar 2022 tritt ein weiterer Infektionsfall mit Listerien im Frankfurter Markus-Krankenhaus auf.

Am 24. November 2021 und am 18. Januar 2022 werden in Rückstellproben Listerien nachgewiesen.

Am 11. Februar 2022 veranlasst das Umweltministerium Kontrollen.

Am 14. und 16. Februar 2022 wird der Obst- und Gemüsebetrieb Maus in Gernsheim-Allmendfeld mit angegliedertem Schneide- und Schälbetrieb vom Groß-Gerauer Kreisveterinäramt kontrolliert und wegen Hygienemängeln geschlossen. Seit dem 17. Februar 2022 dürfen dort keine Lebensmittel mehr hergestellt werden.

Am 17. März 2022 kritisiert der Landesrechnungshof die unzureichende Lebensmittelüberwachung in Hessen.

Am Osterwochenende werden durch einen Bericht der „Welt am Sonntag“ die Listeriose-Fälle in den Kliniken in Offenbach und Frankfurt publik.

Am 20. April 2022 zieht der Kreis Groß-Gerau Konsequenzen aus den Lücken bei den Lebensmittelkontrollen. Das Veterinäramt wird als Stabsstelle aus der Fachbereichsstruktur der Kreisverwaltung herausgelöst und direkt Landrat Thomas Will (SPD) und dem Ersten Kreisbeigeordneten und Gesundheitsdezernenten Walter Astheimer (Grüne) unterstellt. Damit, so teilten Will und Astheimer mit, werde „ein engerer regelmäßiger Austausch mit den Lebensmittelkontrolleur:innen gewährleistet“. Ziel des Kreises sei es, „auch bei den Lebensmittelkontrollen - wie zuvor schon bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie - mit seinen Maßnahmen und Leistungen an der Spitze zu stehen“, äußerten der Landrat und sein Stellvertreter. jjo

Für die Kontrollen von Lebensmittelbetrieben sind die jeweiligen Landkreise zuständig, das Ministerium übt allerdings die Fachaufsicht aus. Der Betrieb in Gernsheim, von dem die verunreinigten Gurken stammten, war von den Zuständigen im Kreis Groß-Gerau zuletzt 2019 überprüft worden, obwohl er zwei Mal im Jahr hätte kontrolliert werden müssen.

Hessen: Ministerium schiebt die Schuld auf den Landkreis

Das Verbraucherschutzministerium teilte der FR weiter mit, man erwarte, „dass auch die Unternehmen ihrer gesetzlichen Verantwortung gerecht werden, sichere Lebensmittel in den Verkehr zu bringen und dass die Landkreise ihren Kontrollaufgaben nachkommen“. Mit dem Kreis Groß-Gerau seien Kontrolldefizite in den vergangenen beiden Pandemie-Jahren „kritisch erörtert“ worden, zuletzt sei dort mehr Personal eingestellt worden. Man hoffe, dass die Lebensmittelkontrollen nach der Zusatzbelastung durch Corona sich bald normalisierten.

Kontrollen alleine lösten das Problem von Hygienemängeln im Übrigen nicht, so Hinz’ Ministerium weiter. Problematische Betriebe müssten zeitnah nachkontrolliert und auf die Abstellung von Mängeln gedrungen werden. Um die Sicherheit zu erhöhen, unterstütze die Task Force Lebensmittelsicherheit die Landkreise aktuell schon mehr bei Kontrollen. Die Prüfung von Spezialbetrieben wie etwa Herstellern von Rohkost solle zudem verstärkt auf die hessischen Regierungspräsidien übertragen werden, um die lokalen Veterinärämter zu entlasten.

(Jens Joachim, Hanning Voigts)

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