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Hessen: Linken-Fraktionschefs attackieren die Grünen

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Von: Pitt v. Bebenburg

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Nach dem Interview mit der FR: Jan Schalauske (Fraktionschef Die Linke) und Elisabeth Kula (Fraktionschefin Die Linke) im Fraktionssitzungssaal.
Nach dem Interview mit der FR: Jan Schalauske (Fraktionschef Die Linke) und Elisabeth Kula (Fraktionschefin Die Linke) im Fraktionssitzungssaal. © Michael Schick

Die neuen Linken-Fraktionschefs im hessischen Landtag, Elisabeth Kula und Jan Schalauske, werfen den Grünen im Interview vor, sich von ihren Wurzeln entfernt zu haben.

Dreizehn Jahre lang war Janine Wissler das Gesicht der Linkspartei im hessischen Landtag, seit zwölf Jahren bereits als Fraktionsvorsitzende. Nun hat sich Wissler in den Deutschen Bundestag verabschiedet. Eine Doppelspitze hat in dieser schwierigen Phase ihre Nachfolge im hessischen Landesparlament angetreten: Elisabeth Kula und Jan Schalauske.

Frau Kula, Herr Schalauske, die Linke holte in Hessen bei den Europawahlen unter fünf Prozent, bei den Kommunalwahlen unter fünf Prozent und jetzt bei den Bundestagswahlen unter fünf Prozent. Kommen nun die letzten zwei Jahre der Linken im hessischen Landtag?

Jan Schalauske: Nein. Die Linke ist in einer schwierigen Situation, wir haben ein katastrophales Ergebnis bei der Bundestagswahl eingefahren. Aber wir haben in den Kommunen in Hessen viele gut verankerte Mandatsträger, einen Höchststand an Mitgliedern, und wir sind jünger geworden. Insgesamt sind wir in Hessen gut und stabil aufgestellt. Zudem haben wir eine Landtagsfraktion, die auch als Team seit mehr als 13 Jahren im Parlament Themen auf die Tagesordnung setzt, die dort sonst nicht zu finden wären.

Zum Beispiel welche?

Schalauske: Wir legen den Finger in die Wunde, wenn es um die Bekämpfung von Armut geht, gegen Betriebsschließungen, für gute Arbeit. Wir erinnern immer wieder die mitregierenden Grünen daran, was sie für Federn lassen mussten, um ausgerechnet mit der Hessen-CDU eine Regierung zu bilden.

Trotzdem haben Sie Stimmen verloren. Was läuft schief?

Elisabeth Kula: Ich glaube, es hat damit zu tun, wie wir wirken auf Bundesebene. Wir sprechen mit verschiedenen Stimmen. Wir wirken zu oft sehr zerstritten. Das ist in Hessen anders, was sehr von Vorteil ist. Hier haben wir einen Landesverband und eine Fraktion, die als Team arbeiten und geschlossen nach außen kommunizieren. Ich glaube, dieses Ass können wir bei der Landtagswahl ausspielen und dass wir hier selbstbewusst auftreten werden.

Herr Schalauske, Sie sind bereits auf die Grünen eingegangen, die Sie häufig für Ihre Politik kritisieren. Sind die Grünen der Hauptgegner der Linken in Hessen?

Schalauske: Die Grünen in Hessen sind ein Beispiel dafür, wie man es nicht machen sollte, wenn man in die Regierung geht. Sie haben sich von ihren Wurzeln als Friedens- und Bürgerrechtspartei sehr stark entfernt. Sie waren ursprünglich mal eine Friedenspartei, eine Bürgerrechtspartei. Hier haben sie viele faule Kompromisse mit der Hessen-CDU gemacht. Stichwort: Sozial-, Gesundheits- und Bildungspolitik. Unter grüner Regierungsbeteiligung hat die Zahl der Sozialwohnungen in Hessen einen historischen Tiefststand erreicht. Unter grüner Regierungsbeteiligung ist Hessen das Flächenland, in dem die Kinderarmut am stärksten gestiegen ist. In unseren Krankenhäusern gibt es einen enormen Pflegenotstand. Wir haben einen enormen Mangel an Lehrerstellen in Hessen, und wir haben Schulgebäude, die längst nicht den Standard haben, den sie bräuchten. Anderes Beispiel: Die Zahl der Windräder kommt kaum voran, und bei der Verkehrswende braucht es grundlegendere Schritte in Richtung Ausbau des Schienenverkehrs. Da passiert viel zu wenig unter grüner Regierungsbeteiligung.

Wollen Sie die Grünen ökologisch überholen?

Kula: Es geht nicht darum, die Grünen zu überholen, aber schon darum, sie zu stellen. Die Grünen treten an als ökologische Partei. Dann müssen sie, wenn sie regieren, auch liefern. Wälder werden gerodet für Autobahnen, und auch andere Themen der grünen Programmatik wie der Kampf gegen Abschiebungen und für eine humane Asyl- und Flüchtlingspolitik werden nicht umgesetzt. Wir haben ein großes Problem mit Innenminister Peter Beuth. Bei ihm fragt man sich schon, Stichwort NSU-Akten: Wen schützt diese Landesregierung? Schützt sie diejenigen, die von Rechtsextremen bedroht werden? Oder schützt sie lieber V-Leute? Die Grünen müssen sich überlegen, wie weit sie sich verbiegen für einen Innenminister, wenn ihre Kernthemen in Frage gestellt werden.

Sie haben angekündigt, dass Sie wieder stärker den Kontakt zu den sozialen Bewegungen herstellen wollen. Ist da etwas verloren gegangen?

Zu den Personen

Elisabeth Kula steht seit drei Wochen gemeinsam mit Jan Schalauske an der Spitze der Linken-Fraktion im hessischen Landtag, als Nachfolger für Janine Wissler, die in den Bundestag gewechselt ist. Kula gehört dem Parlament seit knapp drei Jahren an und hat ihren inhaltlichen Schwerpunkt in der Bildungspolitik. Die 31-jährige Politikwissenschaftlerin ist verheiratet und lebt in Wiesbaden. Sie ist im mittelhessischen Lich geboren und ging zum Studium nach Marburg, wo sie 2018 ihren Master machte. Kula spielt Gitarre in der Metal-Band „Profet“, die gerade ihre dritte CD „Into The Void“ aufgenommen hat.
Jan Schalauske bildet den anderen Teilen der neuen Linken-Doppelspitze im hessischen Landtag. Der 40-jährige Politikwissenschaftler aus Marburg kennt Kula lange aus gemeinsamer politischer Arbeit in seiner Heimatstadt. Schalauske war bisher stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Linken und beschäftigte sich vorrangig mit Haushalts- und Wohnungspolitik. Er gehört dem Landtag seit 2017 an. Schon drei Jahre länger steht Schalauske an der Spitze der Linkspartei in Hessen. Dort bildet er mit Petra Heimer eine Doppelspitze. Jan Schalauske ist verheiratet und hat zwei Kinder im Alter von ein und drei Jahren. pit

Kula: Ja, allein schon durch Corona. Corona war für uns ein herber Rückschlag, denn es hat zu einem Rückzug ins Private geführt. Wir sind aber eine Mitgliederpartei, die vom Engagement vor Ort lebt. Jetzt ist es wichtig zu zeigen, dass wir aus dem Landtag wieder rausgehen, dahin, wo sich Leute für ihre eigenen Interessen einsetzen, sei es in Mieterinitiativen oder im Kampf gegen die Klimakrise, für bessere Löhne oder gegen Abschiebungen.

Kann man sagen, Sie wollen Sprachrohr dieser Bewegungen im Landtag sein?

Schalauske: Die Linksfraktion hat sich immer als Sprachrohr außerparlamentarischer Bewegungen und Gewerkschaften im Landtag verstanden. Politisch bewegt sich nur etwas, wenn es Druck von außen gibt. Das beste Beispiel ist die Abschaffung der Studiengebühren, die SPD, Grüne und Linke hier 2008 gemeinsam durchgesetzt haben, weil es vorher eine breite gesellschaftliche Bewegung gegeben hat.

Die CDU stellt keine gemeinsamen Anträge mit Ihnen, ebenso wie mit der AfD. Stört Sie das? Oder freuen Sie sich eigentlich über diese klare Abgrenzung?

Kula: Man muss immer wieder die Frage stellen, wie sinnvoll eigentlich die Hufeisentheorie ist, nach der die Linke genauso schlimm ist wie die AfD. Das ist geschichtlich gesehen eine Verharmlosung von Rechtsextremismus und Faschismus. Dem werden wir uns natürlich entgegenstellen. Ich glaube, es wäre gut, wenn alle demokratischen Fraktionen gemeinsam Flagge gegen Rechtsextremismus zeigen. Wenn andere Fraktionen das anders sehen, dann müssen sie das für sich klären.

Schalauske: Ich habe das Gefühl, die CDU pflegt in dieser Frage ihre alten Stahlhelmflügel und ihren traditionellen Antikommunismus. Fakt ist: In vielen Kommunen ist das längst ganz anders, da gibt es durchaus auch gemeinsame Anträge.

Sie haben beide Politik in Marburg gemacht, teilweise zusammen. Was hat Sie geprägt?

Kula: Marburg hat eine Tradition und Kultur an politischen Kämpfen. Ich war am Institut für Politikwissenschaften. Da gab es Auseinandersetzungen über Kürzungen am Fachbereich. Ich bin darüber in die Hochschulpolitik gekommen, und ich war dann im Asta-Vorstand. Da hat man die Verantwortung, politisch in die Stadt hineinzuwirken, etwa was Wohnheimplätze angeht oder in der Auseinandersetzung mit rechtsextremen Burschenschaften.

Haben Sie dieselbe Prägung, Herr Schalauske?

Schalauske: Wir haben viel Gemeinsames durch unsere Zeit in Marburg. Bei mir kommt hinzu: Mit 17, 18 Jahren hatte ich 1998 große Hoffnungen auf eine rot-grüne Bundesregierung gesetzt. Geblieben ist eine derbe Enttäuschung, weil es Rot-Grün war, die zum ersten Mal deutsche Soldaten in einen völkerrechtswidrigen Krieg nach Jugoslawien geschickt haben. Ich komme aus einem von 1968 geprägten, durchaus linken Elternhaus. Aber nach diesen Erfahrungen habe ich mich in einem sozialistischen Jugendverband und im Umfeld der PDS engagiert, obwohl sie mir kulturell zunächst etwas fremd war. In Marburg habe ich Politische Wissenschaft in der Tradition von Wolfgang Abendroth studiert und gelernt: Wissenschaft muss einen Beitrag zu gesellschaftlichen Veränderungen leisten. Das hat mich sehr geprägt und ist auch die Richtschnur meines politischen Handelns.

Fraktionsvorsitzende im Landtag haben Anspruch auf einen Dienstwagen. Wer von Ihnen darf den benutzen?

Schalauske: Da ich die deutlich weitere Anreise habe, werde ich das ab und zu nutzen. Elisabeth, die in Wiesbaden wohnt, hat es ja nicht so weit in den Landtag. Es ist ein komisches Gefühl, so einen Fahrdienst in Anspruch nehmen zu können. Gleichwohl ist er eine echte Arbeitserleichterung. Aber man muss aufpassen, wie man sich einen Abstand bewahrt zu diesen Privilegien, die Abgeordnete haben.

Interview: Pitt von Bebenburg

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