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Hessen: Gewalttaten aus der Coronaleugner-Szene „jederzeit möglich“

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Von: Hanning Voigts

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Diffuses Weltbild: Protest gegen Corona-Maßnahmen in Frankfurt.
Diffuses Weltbild: Protest gegen Corona-Maßnahmen in Frankfurt. © Christoph Boeckheler

Beim „Herbstgespräch“ des hessischen Verfassungsschutzes wird vor radikalisierten Gegnern der Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie gewarnt. Innenminister Peter Beuth hält auch schwerste Gewalttaten für „jederzeit möglich“.

Mit deutlichen Worten haben Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) und der Präsident des Landesamts für Verfassungsschutz (LfV), Robert Schäfer, vor einer weiteren Radikalisierung von Gegner:innen der Corona-Maßnahmen gewarnt. Auch schwerste Gewalttaten aus der 2020 entstandenen Mischszene aus Coronaleugner:innen, Impfgegner:innen und Rechtsextremen seien „jederzeit möglich“, sagte Minister Beuth am Mittwoch beim „Herbstgespräch“ des Verfassungsschutzes in Wiesbaden. Er verwies dabei auf den Mord an einem 20-Jährigen im rheinland-pfälzischen Idar-Oberstein durch einen mutmaßlichen Maskengegner.

An den auch von Rechtsextremen geprägten Demonstrationen gegen die Corona-Einschränkungen hätten sich vor allem Menschen beteiligt, die zuvor keine Extremist:innen gewesen seien, sagte Beuth. Es sei „alarmierend“, wie schnell sich manche radikalisierten. Es sei daher richtig, dass die Verfassungsschutzämter den neuen Bereich „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ geschaffen hätten, um die Szene beobachten zu können.

LfV-Präsident Schäfer verwies darauf, dass bei den Corona-Protesten auch Antisemitismus weit verbreitet sei. So würden dort die Schutzmaßnahmen gegen die Pandemie mit der Nazidiktatur verglichen und Nachteile für Ungeimpfte mit der Verfolgung von Jüdinnen und Juden zur Zeit des Nationalsozialismus. „Stellen wir die Stoppzeichen gegen Antisemitismus und die Relativierung des Holocaust konsequent wieder auf“, forderte Schäfer.

Bei einer anschließenden Podiumsdebatte verwies die Publizistin Liane Bednarz darauf, dass es eine „gezielte Verächtlichmachung des Staates“ schon vor der Corona-Pandemie gegeben habe. Schon während der Eurokrise und dann während der Flüchtlingsdebatte 2015 hätten manche Konservative die BRD mit der DDR verglichen, eine „große rechte Widerstandserzählung“ werde seitdem in Teilen des Konservatismus bis hin zur AfD und Rechtsextremen bedient, um gegen eine angebliche „Merkel-Diktatur“ zu mobilisieren.

Justus Bender, Redakteur der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, sagte, die Anti-Corona-Szene verfüge nicht über eine einheitliche Weltsicht, sie werde vielmehr durch den gemeinsamen Hass auf Staat und „Mainstream“ zusammengehalten. Da in der Szene auch Bedürfnisse nach Gemeinschaft und Solidarität bedient würden, werde man viele Anhänger:innen nicht mit rationalen Argumenten überzeugen können, betonte Bender. In Chats und Internetforen steigerten diese sich teils in Verschwörungserzählungen und „unglaublich starke, rauschhafte Zustände“ hinein.

Michael Niemeier, Vizepräsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, räumte ein „veritables Analyseproblem“ seiner Behörde bei der Fülle von Social-Media-Kanälen und Chatgruppen der Anti-Corona-Szene ein. Vor allem sei es schwer, im Vorfeld zu sagen, wer sich nur in „Verbalradikalismus“ ergehe, und wem man schwere Gewalttaten zutrauen müsse.

Der Kabarettist Florian Schroeder, der im August 2020 eine satirische Rede bei der Bewegung „Querdenken“ in Stuttgart gehalten hatte, sagte, die „Querdenken“-Szene vereine letztlich der Wunsch nach einer Zerstörung des Staats. Es sei „dramatisch“, dass Stars wie etwa die Sängerin Nena ihre Thesen teilweise übernähmen, weil sie der Szene als Multiplikator:innen dienten. Gerade Menschen, die eher linksalternativ dächten oder kreativ tätig seien, seien „erstaunlich schnell dabei“, Verschwörungstheorien zur Pandemie anzunehmen und zu verbreiten, kritisierte Schröder.

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