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Hessen: Für ein Menschenrecht auf Gesundheit

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Von: Jutta Rippegather

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Wer krank ist zahlt selbst oder riskiert die Abschiebung.
Wer krank ist, muss selbst zahlen oder die Abschiebung riskieren. © Oliver Ring/Imago

Ein herzkranker Kosovare verklagt die Stadt Frankfurt. Und eine Initiative macht Druck mit einer Petition an Landtag.

Eine strategische Klage auf eine Gesundheitsversorgung für Menschen ohne Papiere will die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) am heutigen Dienstag beim Verwaltungsgericht Frankfurt einreichen. Beklagte ist die Stadt Frankfurt, Kläger ein seit 1997 in Deutschland lebender herzkranker Kosovare, der seit 2017 keinen geregelten Aufenthaltsstatus mehr hat. Am selben Tag übergibt die Kampagne „Gesundheit für alle in Hessen“ dem Petitionsausschuss des Landtags ihre Petition. Das Bündnis fordert die landesweite Einführung eines anonymen Behandlungsscheins und die Einrichtung einer sogenannten Clearingstelle, die auf Wiedereingliederung in den regulären Krankenversicherungsschutz spezialisiert ist.

Sozialamt ruft die Polizei

Eine solche Clearingstelle gibt es in Frankfurt. An sie hatte sich der Kosovare gewandt, nachdem er wegen eines Herzinfarkts in einem Krankenhaus behandelt wurde. Der 44-Jährige war als Kriegsflüchtling nach Deutschland gekommen und 2017 abgeschoben worden, weil er nach einem Umzug versäumt hatte, seine Aufenthaltserlaubnis zu verlängern. Weil er zum Kosovo nach so langer Zeit keinerlei Bezug mehr hatte, kehrte er als Illegaler nach Deutschland zurück. Das ging so lange gut, bis er den Herzinfarkt erlitt. Die Privatrechnung in Höhe von 5800 Euro für die Krankenhausbehandlung hofft er in Raten abstottern zu können. Er braucht aber auch Medikamente, Kontrolluntersuchungen, womöglich eine zweite Operation.

Ein Riesenproblem für einen Menschen ohne Krankenversicherung, der aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeiten kann. Theoretisch könnte der Mann sich ans Sozialamt wenden, das für Menschen wie ihn Behandlungsscheine ausstellt. Doch das ist verpflichtet, umgehend die Ausländerbehörde zu informieren – oder gleich die Polizei.

Aktionen

Die Übergabe der Petition ist am heutigen Dienstag 10. Mai, um 15 Uhr. Vertreter:innen der Medinetze, der Diakonie Hessen und der Humanistischen Union Marburg überreichen sie an den Petitionsausschuss des Landes. www.change.org/gesundheit-für-alle-in-hessen

Eine Kundgebung des Bündnis „Gesundheit für alle in Hessen“ schließt sich an. Sie beginnt um 17 Uhr zwischen Neuem Rathaus und Marktkirche in Wiesbaden. Eingeladen sind auch die gesundheitspolitischen Sprecher:innen der Fraktionen sowie weitere Mitglieder des Landtages. www.medinetz-marburg.de/anonymer-behandlungsschein-hessen

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) hat mit 80 anderen Organisationen die Kampagne GleichBeHandeln ins Leben gerufen. https://gleichbehandeln.de.

Die Studie „Ohne Angst zum Arzt“ ist abrufbar unter https://freiheitsrechte.org/gesundheitsversorgung/ jur

Mit Inanspruchnahme der Gesundheitsversorgung droht die Abschiebung. „Dies führt in der Praxis dazu, dass Menschen ohne Aufenthaltstitel nicht zum Arzt gehen“, sagt GFF-Anwältin und Verfahrenskoordinatorin Sarah Lincoln im Gespräch mit der FR. Gegen diese Übermittlungspflicht richtet sich die von ihr geführte Klage vor dem Verwaltungsgericht. Der Eilantrag sei ein erster Schritt. Langfristiges Ziel ist, die aufenthaltsrechtliche Meldepflicht aus Paragraf 87 Aufenthaltsgesetz vom Bundesverfassungsgericht überprüfen zu lassen.

Regelung sei verfassungswidrig

Die Regelung sei verfassungswidrig, weil sie die Menschenwürde einschränke. „Die europaweit einzigartige Meldepflicht führt einzig dazu, dass die Betroffenen keinen Behandlungsschein beantragen.“ Illegale Aufenthalte würden damit nicht aufgedeckt. Deutschland verwehre Betroffenen ihr Recht auf Gesundheit, belege die Studie „Ohne Angst zum Arzt“, die die GFF in Zusammenarbeit mit dem Verein Ärzte der Welt im vorigen Jahr veröffentlichte.Dass der gegenwärtige Zustand einer Korrektur bedarf, ist hinreichend bekannt. In Berlin und München gibt es einen Fonds, der Behandlungen finanziert – sofern sich darin Geld befindet.

Die Frankfurter Stadtregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, das auf zwei Jahre befristete Projekt Clearingstelle fortzusetzen. Es hilft Betroffenen nicht mit Geld, sondern vermittelt sie an die studentische Poliklinik. Ein ehrenamtliches Angebot, das bei schweren Fällen wie dem des herzkranken Kosovaren an seine Grenzen gerät.

Weitere studentische Initiativen sind die Medinetze in Gießen und Marburg. Sie arbeiten mit Ärzt:innen und Therapeut:innen zusammen, die Papierlosen oder unzureichend Versicherten helfen. Sie haben die Petition „Anonymer Behandlungsschein und Clearingstellen in Hessen – jetzt umsetzen!“ ins Leben gerufen. Die Landesärztekammer hat ihre Mitglieder aufgerufen, sie zu unterzeichnen. Eine Aktion, die nicht nötig wäre, wenn die schwarz-grüne Landesregierung das erledigt hätte, was sie im Koalitionsvertrag verabredet hatte: einen Fonds zu prüfen, der eine anonyme Krankenbehandlung ermöglicht.

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