Hessen: Die Ära Bouffier geht zu Ende

In Hessens CDU wird bald die Machtübergabe erwartet. Mehrere mögliche Nachfolgerinnen und Nachfolger für Volker Bouffier werden genannt.
Wiesbaden – Als Roland Koch am Wäldchestag des Jahres 2010 seinen Rückzug von den Ämtern des hessischen Ministerpräsidenten und CDU-Vorsitzenden ankündigte, überraschte er damit alle außerhalb seiner engsten Umgebung. Wenn Volker Bouffier am übernächsten Freitag, dem Fastnachtsfreitag, den gleichen Schritt gehen sollte, würde das niemanden verwundern.
Im Gegenteil: In der hessischen CDU geht man davon aus, dass Bouffier seine Nachfolge einläutet, auch wenn es niemand öffentlich ausspricht. Als Favoriten gelten die CDU-Fraktionsvorsitzende Ines Claus, Landtagspräsident Boris Rhein und Kultusminister Alexander Lorz.
Gibt Bouffier während laufender Legislaturperiode ab? „Dafür spricht viel“
Koch hatte kurz vor seinem Coup versichert, er bleibe Ministerpräsident. Der mittlerweile 70-jährige Bouffier ist vorsichtiger. Im Jahr 2019 wurde er gefragt, ob er womöglich sein Amt während der laufenden Legislaturperiode an einen Jüngeren abgebe, um dessen Wahlchancen zu erhöhen. Bouffier antwortete: „Dafür spricht viel“.
Die bittere Erfahrung der CDU mit dem Rückzug von Bundeskanzlerin Angela Merkel, der zum Machtverlust führte, tat ein Übriges. Auch deswegen gilt es als wahrscheinlich, dass Bouffier sein Regierungsamt – anders als Merkel –vorzeitig abgibt.
Seit der Bundestagswahl wächst der Druck auf ihn. Schon am Montag nach der Wahl wurde das in einer internen Sitzung der CDU-Granden in Hofheim deutlich. Die Junge Union (JU) warnte auch öffentlich, dass es der Partei in Hessen wie im Bund ergehen könne. Der hessische JU-Vorsitzende Sebastian Sommer erklärte im FR-Interview, Volker Bouffier sei gefragt, „die Initiative zu ergreifen und einen Plan zu präsentieren, wie das Ganze gelingen soll bis zum Jahr 2023“.
Ende der „Tankstellen“-Ära: Wie geht es nach Bouffier in Hessens CDU weiter?
Nun scheint die Zeit reif für einen Generationenwechsel in der hessischen CDU. Seit mittlerweile 23 Jahren steht die Riege um Koch und Bouffier in der ersten Reihe, die sich als Jungpolitiker der legendären „Tankstelle“ zusammengefunden hatten. Diese Ära dürfte zu Ende gehen.
Am 25. Februar tagen der Landesvorstand der CDU, die hessischen CDU-Abgeordneten des Landtags, des Bundestags und des Europaparlaments sowie kommunale Spitzenvertreter in Fulda. Das traditionelle „Künzeller Treffen“ wurde in die dortige Esperantohalle verlegt, in der genug Platz ist, um Abstand halten zu können. Dort wird beraten, wie es personell weitergeht. Der frühere Finanzminister Thomas Schäfer, der ursprünglich als potenzieller Nachfolger Bouffiers galt, hatte sich zu Beginn der Corona-Pandemie im Jahr 2020 das Leben genommen.
CDU in Hessen: Volker Bouffier baut Ines Claus auf
Nun richten sich die Augen auf die 44-jährige Juristin Ines Claus aus Bischofsheim (Kreis Groß-Gerau), nicht zuletzt weil sie in den vergangenen Monaten gezielt von Bouffier aufgebaut worden ist. Er hatte die Frau, die erst 2019 in den Landtag eingezogen war, gegen erhebliche Widerstände 2020 als Fraktionsvorsitzende durchgedrückt. Seither hat sie an Profil gewonnen. Im Januar zog Claus mit einem guten Wahlergebnis ins Präsidium der Bundes-CDU ein, in dem bisher Bouffier als einziger Hesse vertreten war.
Anders als Claus wurde der in Frankfurt lebende Landtagspräsident Boris Rhein nicht von Bouffier protegiert. Der 50-jährige Jurist, ehemals Innen- und Wissenschaftsminister, hat sich mittlerweile aber durch seine Amtsführung als Landtagspräsident parteiübergreifenden Respekt erarbeitet. Das könnte ihm entgegenkommen, wenn es nach der Landtagswahl 2023 darum gehen sollte, neue Koalitionen auf die Beine zu stellen.
Interesse an der Bouffier-Nachfolge: Lorz wäre bereit
Minister Lorz ist in seiner Karriere zwischen seinem Lehrstuhl als Jura-Professor und politischen Posten gewechselt. Zwischenzeitlich galt er als Anwärter für einen Sitz im Bundesverfassungsgericht. Der 56-jährige Wiesbadener hat am Dienstag als Erster sein Interesse an der Bouffier-Nachfolge öffentlich gemacht. Er sei bereit zu kandidieren, sagte er der FAZ. Das gelte allerdings nur für den Fall, dass Bouffier aufhören wolle.
Auch andere Namen werden genannt, sie gelten aber als weniger aussichtsreich. Innenminister Peter Beuth hat eine Serie von Skandalen zu verantworten, Finanzminister Michael Boddenberg gilt als zu blass. Ganz aus dem Rennen dürfte der ehemalige Kanzleramtsminister Helge Braun sein, spätestens seit er bei der Wahl zum CDU-Bundesvorsitzenden nicht mehr als zwölf Prozent der Stimmen holte.
Hessen: CDU-Parteitag im Juli
Die Wahl des hessischen CDU-Vorstands steht Anfang Juli im nordhessischen Rotenburg an der Fulda bevor. Dann könnte der Wechsel im Parteivorsitz vollzogen werden.
Der Übergang an der Regierungsspitze könnte sogar schon vorher erfolgen. Denkbar wäre ein Wahltermin im Mai. Die schwarz-grüne Koalition verfügt nur über eine Stimme Mehrheit.
Eine Stimme Mehrheit
Insofern würde Bouffier mit einer Übergabe in der laufenden Legislaturperiode ein Risiko eingehen. Die Grünen haben sich allerdings als sehr verlässlicher Koalitionspartner erwiesen. In geheimer Wahl könnte es zudem durchaus darüber hinaus Stimmen für eine neue Ministerpräsidentin oder einen neuen Ministerpräsidenten geben. Abgeordnete der Opposition, deren Wiederwahl ungewiss ist, könnten versuchen, damit eine vorzeitige Neuwahl abzuwenden.
Damals, 2010, war der Wechsel problemlos abgelaufen. Kochs Nachfolger Bouffier erhielt im Landtag genau jene 66 Stimmen, über die seine Koalition verfügte. Und es begann die Amtszeit des heute dienstältesten Ministerpräsidenten der Republik. (Pitt von Bebenburg)